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kriegt ihn wieder, der ist uns abgängig auf immer, weil er sich auflöst, und niemand wird es halten, da bin ich fünf Stunden mit der S-Bahn hin und her gefahren zwischen Friedrichstraße und Erkner, weil ich da nicht allein war und nicht toben und heulen konnte.
Der war doch ein eingelöstes Versprechen, der Gerhard. Der war doch so geworden, wie wir uns das gedacht hatten für die andere Welt und die neue Zeit. Der war doch so, daß wir uns sagen konnten: Gut, daß wir ausgehalten haben für solche wie den; die Sache wird in guten Händen bleiben. Eshat ihm Spaß gemacht, unseren Sozialismus eine Anmaßung zu nennen, aber verhalten hat er sich zu ihm wie zu einer Pflicht, und vor allem wie zu einem Recht – mit Ahnung und Vollmachten.
Und ich muß dir sagen, manchmal habe ich ihn gesehen wie er damals den Starschina in seiner Postgeschichte: als einen, der vorwärts geht auf ein Ziel, das auch meines ist, als großen Grund zu großer Zuversicht.
Und dann kommt ein Ungeheuer mit einem mittelalterlichen Namen und vergiftet ihm das Blut und löscht ihn aus. – Bei wem kann man sich beklagen, David, weißt du eine Stelle, bei der man sich beklagen kann?«
»Ich käme mit dir, wenn ich eine wüßte«, sagte David Groth, und als er den Hörer aufgelegt hatte, war ihm sehr elend zumute.
Er war aber einer von denen, die so verletzbar sind, daß sie beizeiten nach Systemen suchen, in denen Deckung ist vor lähmendem Jammer, und Davids erstes System hieß Arbeit.
Er fuhr wieder ein in seinen Aktenberg und wußte sich weniger hilflos nun, geschlagen zwar, aber nicht geschlagen. Er konnte und wollte nicht tun, als wäre nichts geschehen, aber er hielt sich nicht bei Vorsätzen auf; er trieb sein Tagwerk weiter, scheinbar wie immer, aber hinter der Geläufigkeit, mit der er dem Ratsvorsitzenden einer Havelstadt Antwort auf die Frage gab, warum diese Gemeinde seit Jahr und Tag nicht in der NBR zu besichtigen gewesen, und hinter der Geläufigkeit, mit der er das Lob eines Imkers quittierte und den Dank aus einem Feierabendheim und den Schimpf eines Intendanten, hinter der geübten und üblichen Aufmerksamkeit vor Frage und Bescheid, fand er sich in Alarm: Mehr war nötig als das Übliche, und Übliches hatte sich als Übel gezeigt; er hatte an Freundschaft einiges versäumt und an Bündnis und an Auftrag.
Darum bewachte er seine Worte mehr als sonst, horchte sie ab auf Zeichen von Ungeduld oder Hochmut, und als eran die Blätter mit den Entwürfen und Ideen für die nächsten Hefte kam, da zögerte er sehr lange, bevor er einen neuen Vorschlag niederschrieb.
Er zögerte über diesem Gedanken, weil er genau wissen mußte, ob er auch ehrlich und redlich sei und nicht etwa die Ableitung einer Erschütterung in einen Journalistencoup.
Er hatte eine Erfahrung gemacht, aber ob sie wirklich Erfahrung sei, mußte sich aus dem Umgang mit ihr erweisen. Er war schon sicher, er plante nichts Verbotenes, aber nicht verboten war hier nicht genug.
Lauterkeit war auch so ein altes Wort, aber jetzt war auch Lauterkeit zu fragen: Durfte er, was er wollte?
Er spürte, daß er sich in ein Berufsproblem verhakte, weil ihm so Zeit blieb, vor dem größeren Problem zu zögern. Also kürzte er diese Zeit und ging die erste Frage an: Durfte man Gerhard Rikows Geschichte in die Zeitung nehmen und so einem stillen Tod lautes Leben folgen lassen? Denn lautes Leben war zu erwarten, wenn man auf weit verbreitetes Papier schrieb: Wir wissen von einem optimistischen Briefschreiber und von glücklichen Empfängern seiner Post, aber vom Boten wissen wir nichts; nichts von seinem Weg und nichts von seinem Verbleib. Gerhard Rikows Geschichte ist ein Teil unserer Geschichte, aber der Weg des bärtigen Starschina ist ebenso ihr Teil, und der fehlt uns. Wer hilft uns, ihn zu finden?
Hier war die Vollmacht: Von Rikows Erfahrung waren viele betroffen; von seinem Handeln, das aus solcher Erfahrung kam, hatte das Land gewonnen; da durfte man dem Land mit Erzählung und Fragen kommen.
»Betrifft: Heftplanung Jahrestag.
Arbeitstitel: Der Brief.
Umfang: Wahrscheinlich Serie.
Publizistische Zielsetzung: Es wäre einer der Ursprünge unserer Freundschaft zu zeigen, und eine ihrer Folgen. Direkte Einbeziehung der Leser in die Überlegung: Woher kommen wir? DDR-Geschichtsbewußtsein.
Recherchen:
a) DDR: In welchem Lager war Rikow, möglichst genau, wann? Frau befragen, nach Kameraden suchen: Erinnert sich einer an den Vorfall? Wann kam der Brief nach
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