Das Impressum
Wundermann in mir gesehen, einen, dem die Rote Armee die Briefe austrägt. Ich kam gerade zur Bodenreform zurecht, und als ich mit dem Rutenmaß die neuen Felder abzirkelte, sind sie wie die hungrigen Saatkrähen hinter mir her. Aber das Gehacke ging doch bald los, denn die neue Praxis auf den Äckern gefiel ihnen zwar, aber die Theorie, mit der ich ihnen kam, so wie ich es verstand, die gefiel ihnen nicht, weil sie Politik war und auch noch von Marx.
›Kann sein‹, hieß es, ›die Russen waren seine Briefträger, aber jetzt ist er der Postbote der Russen, und da kann’s nur heißen: Annahme verweigert!‹
Meine lieben Kameraden damals in der Baracke und meine Kollegen hier, die waren plötzlich wieder Vettern, und als wir den Maschinenhof der Bauernhilfe in eine Ausleihstation umwandelten und ich der Leiter wurde, haben mir welche über Nacht alle Bäume im Garten angesägt. Und mich hätte beinahe ein Landrat abgesägt, wegen Urkundenfälschung und verschleierter Buchführung und was weiß ich noch, aber das war später, als ich die Anleitung im Kreis zu machen hatte.
Mein theoretisches Verständnis hörte ungefähr beim Flaschenzug auf; da hab ich für die Nachhilfe einen pensionierten Ingenieur geholt, aber der sagte: ›Durch die Ehre pfeift der Wind!‹, und ich hab ihm Traktoristenlohn gezahlt. Er hat auch auf der Traktoristenliste gestanden, und eines Tages wollte ein Zeitungskorrespondent den achtundsechzigjährigen Erntekapitän besichtigen, da ist es herausgekommen.
Von Anmaßung hat man gesprochen, und ich habe gesagt, ich hätte nur Vollmachten gehabt und keine Ahnung, da hätte ich mir das eben angemaßt, und nun hätte ich ein bißchen mehr Ahnung.
Ahnung und Vollmachten, die Mischung zieht dir Anforderungen auf den Hals, schon deshalb bin ich für breiteste Umverteilung von Ahnung und Vollmachten. Sie haben mich zum Leiter des ersten landtechnischen Kabinetts gemacht, Landesebene.«
In Meierstorf und in Marnitz nannten sie ihn nur den Schweriner, und später nannten sie ihn den Berliner, und da waren sie nicht einmal mehr witzig.
Witzig waren sie noch zu Anfang; als er zur ersten Schulung in die Kreisstadt fuhr, hieß es, er studiere jetzt auf den Nobelpreis, und als er in die Partei eingetreten war, machten sie den Stalinpreis daraus. Da baten sie ihn noch, er möge seinen Genossen Lyssenkowitsch fragen, ob er nicht eine neue Sorte Hochlandkaffee auf Lager habe, vielleicht eine, die sich aus Lupinen entwickelt, sie wollten jetzt in den Ruhner Bergen Hochlandkaffee bauen.
Jedesmal, wenn er zum Lehrgang mußte, hieß es, der sei zu dämlich, dem müßten sie andauernd extra was beibringen, und jedesmal, wenn er vom Lehrgang kam, hieß es, der sei so dämlich, daß ihn keine Schule behalten wollte.
Als er die Kreistechnik übernahm und nicht mehr zum Tanzen kam, sagten sie, der hätte da jetzt wohl einen Dieselkolben, und wenn er dann doch mal zum Tanz kam, gab es fast immer Stunk, weil einer nach großem Tusch verkündete, der Herr Kreisfunktionär sei auf einen dialektischen Sprung vorbeigekommen, oder weil er weder ruhig zuhören noch weglaufen konnte, wenn ein besoffener Schulkamerad laut und beharrlich das Lied »Denn wir fahren gegen Engelsland« anforderte.
Den letzten Meierstorfer Witz hörte er bei der großen Umwandlung. Er war auf einige Wochen zurückgekommen und fuhr mit dem Fahrrad durch die Dörfer, weil das gesund war und auch nicht so großmächtig aussah. Dann hatte ihm ein Kenner seiner Wege einen Strick über einen Sandpfad am Ruhner Berg gespannt.
»Das Ding traf mich zwischen Kinn und Unterlippe und riß, und ich flog in den Ginster.
Für mich stand fest, wer das gewesen war, und das gebe ich zu:
Der
ist nun wirklich aus Seelenqual in die Genossenschaft. Ich bin hin zu ihm, und bei der Schwellung konnte ich kaum aus den Augen sehen, und die gequollenen Lippenkonnte ich wenig bewegen, und nun immer Argumente gezischt, bis er ›verfluchte javanische Tempelmaske‹ geschrien und unterschrieben hat.
Javanische Tempelmaske, so was vermutest du gar nicht in Meierstorf; ich wollte ihn immer mal fragen, wo er das herhatte, aber ich komme nur selten hin, jetzt bei diesem Posten.«
Sein letzter Posten war an einer der Stellen, wo Landwirtschaft und Industrie ineinandergreifen; für die Bauern war er der Industriekerl, dem sie die Maschinen entreißen mußten, und für die Techniker war er der Bauerngeneral, der, die Sense geschultert, nach den Mähdreschern fragen
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