Das Impressum
Horizont nach Westen und nach Osten auch, und das Ziel von allem Geschoß waren die Wolken, und der Grund zu dem Getös, der hieß Frieden.
Dann schwieg der Krieg, und so schweigt er auch in Meierstorf, dachte Gerhard Rikow, und mein Bote ist nun dort.
In der Nacht ist Gesang zu hören gewesen im Lager, nicht aus den Baracken und Küchen, aber aus den Wachstuben und von den Türmen und von der Straße her, der gleiche Gesang wie immer, aber auch ganz anders jetzt, und in den Barackenist geseufzt und gedroht und geflucht worden wie immer, aber auch ganz anders jetzt, und Gerhard Rikow ist immer noch allein gewesen, aber doch schon anders. Und als er im Winter nach Hause kam, zu jung und zu dürr für weiteren Aufenthalt, war er längst älter und fester geworden.
In der Küche in Meierstorf bei Marnitz in Mecklenburg hatte man ihn erwartet seit einem Morgen im späten April.
»Da schlägt es hier an die Tür, und der Russe steht draußen. ›Du Rikow?‹ sagt er, und ich weiß nicht warum. ›Du Sohn?‹ sagt er, und ich sag: Ja, aber ich weiß nicht, wo. ›Du lesen!‹ sagt er und steigt auf sein Auto, so ein kleines, stinkendes. Dann hab ich’s gelesen, und dann hab ich Mutter unterm Bett vorgeholt.«
»Ja«, sagt Gerhard Rikows Mutter, »und dein Vater hat den ganzen Morgen im Stall rumgesungen: ›Und da sahn wir schon von weitem, den Herrn Großherzog reiten …‹«
»War das so ein großer Kerl, mit einem Schnauzbart und zum Fürchten?« sagte Gerhard Rikow.
»Wer?«
»Der Russe doch.«
Aber es war kein Großer mit Schnauzbart und zum Fürchten gewesen; mittelgroß vielleicht und noch jung, ein Offizier wohl, sah aus wie einer aus dem Süden. Und zum Fürchten? Konnte man nicht mehr sagen, weil man so schon Angst gehabt hatte, vor der Uniform, aber es konnte sein, daß der wütend gewesen war, dann war es aber mehr so eine Wut, wo einer davon heulen möchte, aber das konnte auch alles Einbildung sein.
An mehr als diese Einbildung geriet Gerhard Rikow nicht; die Reise seiner Post war an ihr Ende gekommen, aber über den Verlauf der Reise erfuhr er nie. Vielleicht war das abenteuerliche Glück aufgebraucht mit dem einen Ergebnis, da konnte man nicht noch mehr erwarten: Aufschluß über den schnauzbärtigen Boten, seinen Namen, seinen Weg und seine Gedanken auf diesem Weg, Aufschluß vor allem über seinen Verbleib, auf der Erde oder auch in ihr vielleicht?Gerhard Rikow bekam den Aufschluß nicht, und womöglich war das gut für ihn, denn so hing er der Geschichte länger nach als einer, die ein klares Ende genommen.
Er vergaß nicht, daß sie mit einem Vorsatz begonnen hatte, mit einer Hoffnung und mit einer Tat, und da ließ er sich nicht ausreden, daß Hoffnungen, Vorsätze und Taten zu dem gehörten, was später Glück dann hieß.
Ach ja, und nachher nannte man ihn manchmal einen Windbeutel und einen, der sogar auf Flaschenpost setzt, und einen unverbesserlichen Optimisten.
Doch nun war er tot, im vierzigsten Lebensjahr hinaus aus dem Leben, unglaublich tot und so unpassend auch.
Unpassend war unpassend; gab es passenden Tod? Doch, vom Sterben gab es einleuchtende Arten und solche, die zu nichts stimmten. Und zu Gerhard Rikow stimmte die schwarzumrandete Anzeige nicht, weil sie sich wie ein spätes, aber übermächtiges Argument gegen allen Optimismus ausnahm, weil sie ein Beweis ja schien, daß Zuversicht doch immer noch ein eitler Glaube sei. Und das paßte nicht.
Es stimmt auch nicht. Rikow hat nie behauptet, er werde hundert Jahre alt. Er hat nur behauptet, man könne in zwanzig Jahren schaffen, was bis dahin auch in hundert nicht machbar schien. Er hat nur gesagt: Wenn die Post ankommen soll, muß man sie erst einmal abschicken. Seine Formel hat sich so simpel angehört, aber durch sie hat er sich von den tatenlosen Träumern unterschieden als ein tätiger Träumer.
Man sagt, Grunderlebnisse könnten leicht zu Dogmen verstocken. Mag sein, aber so ist Gerhard Rikow mit seinem Erlebnis nicht umgegangen. Es hat ihm gereicht für Zuversicht und Geduld und für eine unangreifbare Freundschaft zu jenen, die seinen Brief durch Feuer und Rauch bis nach Meierstorf bei Marnitz in Mecklenburg befördert hatten. Es hat ihm gereicht zu einem anderen Beginn, aber für den Fortgang hat er selber sorgen müssen. Und das hat er getan.
»Zuerst hab ich es leicht gehabt«, hat er erzählt, als er in der Schule bei Fritz Andermann seinen Lebenslauf hersagenmußte, »zuerst haben sie im Dorf einen
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