Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
David Groth, ihm antwortet:
    Aber sicher, Mann, was glaubst denn du, wo ich aufgewachsen bin, in der Hungersteppe, in einem Pestgebiet am Ganges, unter schlesischen Webern, schwarz in Weiß-Afrika? Ich komm doch aus Ratzeburg, Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein, Deutschlands noch grünem Norden, Ratzeburg am Großen See, an der alten Salzstraße von Lüneburg nach Lübeck, nahe der holsteinischen Schweiz, nahe der lustigen Kreidehöhle von Segeberg, nahe Eulenspiegels Mölln, in Elbe- und Ostseenähe, in einem Wind, der wechselweise nach Tomaten und Gurken riecht und nach reifem Korn, nach geräuchertem Schinken und Räucheraal, nach Marzipan und Schwartauer Konfitüre und nach dem sonnigen Kartoffelacker Mecklenburg und nach dem Teer an den Reusenpfählen im Küchensee. Ich komme doch nicht von der Ruhr oder aus einem Slum von Chikago, ich komme doch aus Ratzeburg, Inselstadt, Stadt im alten Palobenland, Stiftung des Slawenfürsten Ratibor, Grafschaft Heinrichs des Löwen, von Kriegen kaum berührt, nur einmal, da allerdings gründlich, zusammengeschossen, von einem der Dänenkönige, die nicht immer so friedlich und lustig Rad gefahren sind, aber dann wiederaufgebaut, so solide und bedächtig, daß selbst die Einweihung eines neuen Finanzhauses einen Festtag hergegebenhat, Garnisonstadt zwar, aber die Soldaten waren fünfzig Jahre lang hübsche und freche Elite, Jäger vom 9. Bataillon, und ihre Marschmusik ging nach der Melodie O Tannebaum, o Tannebaum, und später, zu meiner Zeit, als in der Belowkaserne nur plane Infanterie saß, hat die auch niemanden gestört, mich schon gar nicht, denn ich hatte meinen Onkel Hermann dort, und der war eine beschränkte Seele, aber Seele eben auch, und gelegentlich erzähle ich mal von dem.
    Aber sonst, Mann, war Ratzeburg nicht so furchtbar Preußen, oder wenn schon Preußen, dann trotz der Platzkonzerte und Schützenfeste mehr ein schlurfendes Preußen; ein Kleinbürger-Preußen eher als ein Marschall- und Tagelöhner-Preußen, ein Idyll mit Fliegenfängern, Sesselschonern und grünen Sonnenrouleaus hinter den Scheiben der beiden Papiergeschäfte; eine Stadt, in der man wer war, wenn man bei der Sparkasse arbeitete oder noch mit dem Bruder des Feldmarschalls von Moltke gemeinsam im ersten Baß der Ratzeburger Liedertafel gesungen hatte.
    Man war König beinahe, wenn man Schützenkönig war, und das wieder wurde man weniger durch Schießkunst als durch vielgeartete Gunst, oder anders und deutlicher gesagt: Man wurde sicher Schützenkönig, wenn man König oder ähnlich Feines war; und wenn es auch nicht die hohen Herren selber waren, die den Vogel von der Stange holten, das besorgte der Landdroste oder der Schützenkapitän, so legte sich doch von allerhöchst dero Beschiß ein Glanz über die Stadt; und das war dann auch schon alles an Glanz, zu mehr hat es in neunhundert Jahren Ortsgeschichte nicht gereicht; erstklassig wurde hier nichts, weder im Guten noch im Bösen.
    Und was es an Zelebritäten in Ratzeburg gibt, das ist entweder nicht aus Ratzeburg, oder es gilt außerhalb seiner schon nicht mehr so sehr als Zelebrität. Zwar ist die Kirche Heinrichs des Löwen einer der ältesten Backsteindome Norddeutschlands, aber eben nur einer der ältesten und eben nur Norddeutschlands. Zwar gab es am Ort eine Schnitger-Orgel, aber erstens gibt es sie nicht mehr, zweitens handelte es sichnur um die Restaurierung eines älteren Instrumentes durch den Meister, und drittens hat der die Arbeiten von seinem Gehilfen Hantelmann besorgen lassen. Zwar steht im Domfriedhof ein großartiges Löwenbildnis, doch leider ist es nur ein Abguß vom Braunschweiger Original. Zwar liegt Barlach in der Vorstadt begraben, aber geboren ist er in Wedel. Zwar, geboren ist hier Jacob Friedrich Ludwig Falke, und der hat eine Geschichte des deutschen Kunstgewerbes geschrieben, aber wen interessiert schon die Geschichte des deutschen Kunstgewerbes, und wer also ist Jacob Friedrich Ludwig Falke? Und so weiter mit zwar und aber, und so war Ratzeburg, nicht weiter bemerkenswert, kaum bemerkt, weil in keiner Hinsicht merkwürdig genug. Nicht im Guten, nicht im Bösen. Im Bösen eben auch nicht. Da wurde nicht mehr gehungert, geprügelt, gestohlen oder gar gemordet als anderswo. Man starb im Bett, an Altersschwäche oder Kindsfieber, man starb normal bei uns in Ratzeburg. Nur selten half jemand sich selber hinüber; ich weiß nur von dreien: da war Fidel-Fritz, der sich an einer Buche erhängte, als sie ihm

Weitere Kostenlose Bücher