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soll es auch, denn der hat so lange Arme, und jetzt hat er so dicke Hände, die fühlen sich feucht an, und, igitt, was der für einen Kopf hat, der sieht ja aus wie der wilde Wassermann in der Burg wohl überm See, igitt, wer singt denn hier, hier singt einer, ich führe Krieg mit Lilofee, nein, nicht mit Lilofee, das ist doch Grete Milschewski, warum ist das Grete Milschewski, und warum singt die hier? Dann kommt die Mutter und sagt: Warum singst du denn? Nun schlaf mal, du hast wohl immer noch Fieber, und da willst du raus auf die Straße? Hah! Nun schlaf, und man schläft, und das ist erst langweilig, igitt!
Und fast jeder Kummer verwächst sich in dieser Zeit, schmerzt wie scharfer Hagel und schmilzt wie der. Kummer ist gefährlich und besiegbar wie ein Gänserich, gefährlich und besiegbar wie der Lehrer Kasten, ist gefährlich und ist besiegbar. Wenn man älter wird, scheint es schwieriger zu werden, ihn zu besiegen; die Zeit, so sieht es aus, scheint irgendwann zu ihm überzulaufen; je langsamer man wächst, um so länger dehnt sich der Kummer, und irgendwann dann wechselt er auch seinen Namen, heißt von nun an Sorge, und wer Sorgen hat, der ist erwachsen. Aber bis dahin ist es weit, und Kummer von gestern, wo ist heute dein Stachel, Kummer, wo bleibt dein Sieg? Wie willst du siegen gegen die Heerscharen der frühen Freuden; wer hört dein Knurren im Lachen auf dem gefrorenen Küchensee, wer vernimmt es im Fuchswald unterm Indianerschrei, wer soll ein Ohr dafür haben, wenn der Königsdamm unterm Wettlauf zittert? Wir laufen dir davon,Kummer, auf Schlittschuhen bis zur Farchauer Mühle, barfuß über die Stoppelfelder bei Ziethen, über die Chaussee nach Mölln zu Eulenspiegel hin; wir schütten dich zu mit Eicheln, Bucheckern und Kastanien; wir fliegen dir fort mit Drachen und Malayern im Wind, der aus Mecklenburg kommt; wir haben kein Auge für dich, wenn wir auf den Grund der Wakenitz tauchen oder siebenmal die Sonne sehen auf sieben lübischen Türmen; und wenn wir uns unterm Löwenbild Heinrichs verstecken oder hinter dem merkwürdigen Stein, der Singender Klosterschüler heißt und schon deshalb merkwürdig ist, weil er ein Grabstein ist, gemacht von einem, der selber unter ihm begraben liegt und berühmt sein soll, Barlach heißt er, und sein Vater ist hier Arzt gewesen – wenn wir uns dort verstecken oder unter den Pfählen der alten Badeanstalt oder hinter den Güterschuppen der Büchener Eisenbahn, dann findet uns keiner, und der Kummer schon lange nicht.
Die Geschichte wußte es später anders, aber für David Groth waren die Jahre zwischen dem Brand des Reichstags und dem Tag, an dem der zerschossenen Kuppel eine weithergekommene Fahne aufgesteckt wurde, zumindest über die weitaus größere Länge der Bahn gute, weil junge Jahre.
Gewiß, sicher, freilich, eigentlich dürfte von Glück und Freuden nicht die Rede sein, wenn von einer Zeit gesprochen wird, in der man den Mord industrialisierte und ihn abrechnete wie eine beliebige Tagesproduktion.
Sicher, freilich, gewiß, eigentlich dürfte die Erinnerung nicht so selbstsüchtig sein und sich den Spaß aus Tagen bewahren, an denen andere nicht einmal das Leben behielten.
Freilich, gewiß und sicher, eigentlich war Lachen nicht erlaubt, wo ungezählt vielen selbst das Weinen erstickt worden ist. Und dennoch läuft Jugend auf all das hinaus, auf Spaß, Lachen, Freuden und Glück, und wenn von David Groths Namensmalheur und von jenem beschränkten Teufel, der Kasten hieß und Lehrer war, und von Herrn Blumenthals Tod und dem des Hirsch Ascher und bald auch noch vom Sterben des Wilhelm Groth, der Davids Vater, gewesen ist, wenn davonhier so beinah gewaltsam ausführlich erzählt wird, so geschieht das zwar insoweit mit Recht, als David am Ende nicht wäre, was er ist, wären in seinen Anfängen nicht so viele blutrünstige Schäbigkeiten gewesen, aber zugleich muß zugegeben werden: Der Bericht tut sich hier etwas schwer, hebt unter Anstrengung hervor, was ohne sie nicht so rasch zutage träte, hätte David Groth selbst das Wort und sollte er selber sagen, was man so sagt, wenn man erst einmal angefangen hat: Meine Jugend, die war so … Hier zeigt sich, wie wichtig für einen, der Antworten hören will, wie wichtig für den es ist, richtig zu fragen. Fragt er: Du, sag mal, wie war eigentlich so deine Jugend? und setzt er womöglich noch hinzu: Gab’s da auch Spaß bei dir?, dann darf er sich nicht wundern, wenn der andere, in diesem Falle
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