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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Ton waren und eher schartig als scharf durch die scheinbare Ordnung der Dinge und Begriffe fuhren, machten aus dem jungen David Groth keinen Erwachsenen, was überdies nichts geheißen hätte, denn erwachsen waren auch jener Lehrermensch, der Kasten hieß, und auch der Feldwebel Groth und auch der Blumenthal-Mörder Wolter und all die anderen Leute, die es außerordentlich komisch fanden, wenn elf Männer mit Nachttöpfen nach einem älteren Juden warfen – die spärlichen, aber sperrigen Worte seines Vaters zu solchen Vorgängen hinderten David nur daran, allem und jedem sofort zu trauen, halfen ihm lediglich, manchmal noch einmal hinzuhören, und zwangen ihn oft und gerade dann, wenn es am wenigsten angebracht schien, zu der merkwürdig mühevollen und zugleich befreienden Anstrengung, die Denken heißt.
    Und weder bittere Worte noch böses Geschehen änderten etwas daran, daß David Groth in dieser Zeit, die in späteren Aufsätzen immer wieder als die braune, die finstere, die blutige bezeichnet werden sollte, ein Junge war, zuerst ein sechsjähriges Kind, dann ein Bengel von elf und kurz vor ihrem Ende mit sechzehn immer noch ein neugieriger, frecher und lustiger grüner Schlaks, der zwar an Greueln und Scheueln mehr gehört und gesehen haben mochte als Gleichaltrige in früheren oder späteren Jahren, dem aber dennoch dieses Stück Lebenslauf vor allem gefüllt war mit Weihnachten, Ostern und Pfingsten und Geburtstagen, lauteren und stillen, aber Geburts- und Festtagen; ein Lebenslauf allenfalls über die Hürden der Herbst- und Osterzeugnisse, Hindernisse kaum zu nennen, ein im ganzen fröhlicher Lauf, dessen Schwierigkeiten sich rasch vergaßen: Ziegenpeter und Herr Kasten, Schlüsselbeinbruch und Gelegenheitsprügel, Gelbsucht undlange kein Fahrrad, wo andere längst eins hatten, Konfirmationsunterricht und das Wort KZ, geflüstert oder gehässig gebrüllt, die großen und die kleinen Verzichte, Verluste und Ungerechtigkeiten, die Schmerzen auf der Haut und im Herzen, die Narben auf den Knien und im Gedächtnis, die eigenen Tränen und die der Mutter, alles das, was Schiet war, alles das konnte sich damals, als es geschah, und noch weniger später, in der Erinnerung, gegen das behaupten, was, neben der Liebe vielleicht, die zwingendste Stärke hat: gegen die Jugend.
    Was ist da der Tod? Der Tod, das ist, wenn man von einem absieht, auf den die Rede noch kommt, ein schwarzer Wagen, an den Ecken beschnitzt wie die vorderen Kirchenstühle; ein Kutscher, der, wenn er weniger betrunken ist, gar nichts sagt und, wenn er mehr als die üblichen drei genommen hat, die ganze Gasse mit vorsichtigem Gebrüll auffordert, hier nun bitte mal rein gar nichts zu sagen, denn hier werde ein Hingeewigter befördert, und Stille nun, verflucht noch mal; der Tod trägt weiße Astern und kleidet Fischermeister Schliecks in einen Zylinderhut, der immer eine Delle hat; der Tod bringt fremde Leute in die Straße, aus Lübeck und Schwerin sogar, und als es Frau Sagebiehl hingeewigt hatte, kam ein Professor aus Heidelberg, der Neffe, und wegen der Erbschaft soll er sehr gestritten haben; der Tod ist vor allem eine Alterserscheinung, und wenn er zu Kindern kommt, er heißt dann meistens Diphtherie, ist es in der Schule sehr komisch, so komisch still für eine Stunde. Der Tod ist etwas anderes, ja; er ist angeblich überhaupt nichts zum Lachen, und deshalb ist der Tod, was man aber nicht sagen darf, vor allem ein bißchen langweilig. Das ist der Tod.
    Krankheit ist am Ende noch langweiliger. Zuerst nicht. Zuerst, wenn sie neu ist, gucken einen alle an und sehen alle nasenlang nach einem und fragen einen immerfort, und man ist wichtig. Aber wehe, man ist über den Berg, dann ist man gleich hinter allen Bergen, und die Mutter ist andauernd bei der Wäsche, und das Lesen hat jetzt plötzlich unbegreifliche Schwierigkeiten, ausgerechnet jetzt, wo man in Zeit erstickt,und draußen hört man Heinz Ahlers: Ich führe Krieg mit Engelland! schreien, aber mindestens drei Tage dauert es noch, bis man selber wieder schreien kann: Ich führe Krieg mit …, nun, das kommt ganz darauf an, wer mitspielt und wer Italien ist oder Rußland oder Amerika; wenn Heinz Ahlers Italien ist, dann führt man, solange es geht, Krieg gegen Italien, und man nennt Heinz Ahlers dann Makkaronifresser, Spaghettischeißer, und wenn man ihm ein Stück Land abgenommen hat, ruft man Ratzikatzimausifalli und weiß zwar nicht, was es bedeutet, aber es ärgert Heinz Ahlers, das

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