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im Küchenbach und ein bißchen zu uneinsichtig im Lager und am Ende ein bißchen zu konsequent.
Und was hat er nun davon?
3
Ebensogut hätte er mit der Faust in einen Sack voll Kleie schlagen können.
Wenn man die Aufregung bedenkt, die der Schuß im Wald auslöste, klingt das ungerecht. Aber Aufregung und Änderung sind zweierlei. Und geändert hat Wilhelm Groth mit seinem Karabiner nichts, jedenfalls nicht dort, wo er es vielleicht wollte.
In seinem Brief hat er nichts von Änderung geschrieben. Er hat kein Vermächtnis hinterlassen, keine Aufforderungen an die Nachwelt gerichtet, keine Appelle in die Welt geschrien, bevor er sich mit einer Gewehrmündung den Mund stopfte.
Auf dem Zettel, der hinter seinem Koppelschloß steckte, stand nur, Frau und Kind sollten ihn verstehen; lange hätte er sowieso nicht mehr leben können, und dies sei ihm als die beste Zeit, der beste Ort und die beste Art zum Sterben erschienen.
Als Hilde Groth von der Polizei aufgefordert wurde, diese kurze Nachricht zu erläutern, tat sie es bereitwillig. Sie weinte nicht, und sie zeigte auch nicht jene Verständnislosigkeit, von der Hinterbliebene sonst kaum lassen können. Sie erklärte die Sache wie etwas, das sie schon lange hatte kommen sehen.
»Irgendwann, und zwar eher früher als später, wäre er verhungert, und das wollte er nicht.«
Der Polizist aus Lübeck, ein reaktivierter Kriminalrat, der den Kopf nicht mehr ganz stillhalten konnte, fragte, nicht böse, nur verwundert: »Warum hätte er verhungern sollen; die Verletzung ist schon anderthalb Jahre alt, und wenn er da nicht verhungert ist, warum dann jetzt noch?«
»Das habe ich auch gedacht«, sagte Hilde Groth, »und manchmal hat er es auch geglaubt, manchmal hat er es gehofft,und manchmal hat er es befürchtet. Aber es war in dem Lazarett ein Arzt, der hat uns die Wahrheit gesagt.«
Der Assistent des Kriminalrats, ein einarmiger junger Mann mit einem kleinen Eisernen Kreuz neben dem Parteiabzeichen, wollte wissen, wer der Arzt gewesen sei, aber Hilde Groth sagte: »Das würde ich Ihnen nicht sagen. Ich könnte mich nicht erinnern. Aber was er gesagt hat, weiß ich: Künstliche Ernährung hilft nicht ewig. Die Tabletten können das nicht ersetzen, was im Mund und in der Speiseröhre mit dem Essen passiert. Von den Schmerzen ganz zu schweigen.«
»Schmerzen?«
»Ja, natürlich Schmerzen, er hat immer Schmerzen gehabt. Sie wissen wohl nicht, was künstliche Ernährung ist? Weil nichts durch die Speiseröhre, also durch den Mund ging, mußte es direkt in den Magen geschüttet werden. Zuerst in einen Trichter, dann durch einen Gummischlauch und dann in den Magen. Wenn man es nicht weiß, denkt man, da werden eben zwei Löcher geschnitten, eins in die Magenwand und eins in das Bauchfell, dann steckt man den Schlauch durch und fertig. Aber das sind dann schon zwei Wunden. Die heilen nicht mit dem Schlauch dazwischen, und das dürfen sie nicht einmal. Wenn sie einem einen Schlauch durch ein Loch in der Bauchwand stecken, und das Loch heilt, dann drückt es den Schlauch zusammen, aber es soll doch Nahrung durch. Deshalb sorgt man, daß es eben nicht heilt; es wird eine künstliche Fistel genannt, wieder etwas Künstliches, und die Schmerzen, die dann kommen, könnte man beinahe künstliche Schmerzen nennen …«
»Halt, Frau Groth«, sagte der ältere Polizist, »nun werden Sie nicht bitter. Das ist ja jetzt vorbei. Und vorerst ist es nicht wichtig, wie der Arzt hieß, aber glauben Sie mir, wenn wir wollen, werden Sie sich an alles erinnern. Also sagen Sie nicht so unsinnige Sachen!«
Der Jüngere nickte scharf. »Unsinnig ist sehr milde formuliert. Die Medizin ist gerade im Krieg sehr vorangekommen; sie kann einem zwar, wie man sieht, noch keine Armeanflicken, aber so eine Speiseröhrengeschichte, kann man das nicht operieren?«
»Doch«, sagte Hilde Groth, »man kann es wohl, aber man kann einem nicht sagen, ob man danach lebt oder leben kann. Ich hab auch geglaubt, die Speiseröhre ist nur so eine Art Schlauch, wo das Essen durchrutscht, aber die muß arbeiten, und bei meinem Mann war sie für immer kaputt, und er hat immer Schmerzen gehabt. Aber ich muß Ihnen sagen, daß es nicht die Schmerzen allein gewesen sind. Der Körper ist so merkwürdig wie ein dressiertes Pferd. Manchmal, wenn sein Durst zu groß war, hat mein Mann den Mund mit Wasser gespült. Aber dann hat der Körper wohl gedacht, jetzt ist es wieder wie früher, und hat zu arbeiten angefangen, all die
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