Das Impressum
sonst sei Davids Bericht gar nicht schlecht geschrieben, nicht so übel, wenn man es vergleiche mit dem, was sonst so geschrieben werde, jetzt hier. So hatte sie David bald eingeschüchtert und zugleich bestochen, aber mit Fedor Gabelbach kam sie nicht so leicht zurecht; der hörte das Lob gar nicht, mit dem sie seine Bilder bedachte – vor allem das von der Straßenbahnerin, die so für Freundlichkeit eingetreten war, gefiel ihr sehr –; Gabelbach hörte nur, daß sie das Foto von Davids Gespräch mit dem Mensendieck-Turner nicht bringen wollte, und David hoffte, obwohl er Gabelbach dankbar war für kleine und größere Hinweise, der werde sich nicht durchsetzen im Streit mit Penthesilea. Denn das Bild zeigte ihn genau so, wie er innerlich beschaffen gewesen war bei der Vorführung der Musterübung aus der Hamburger Schule für reine Mensendieck-Gymnastik: starr vor blödem Staunen.
Natürlich siegte Johanna Müntzer. Das Bild kam nicht indie Zeitung, dafür kam es an die Wand in Gabelbachs Büro, und David durfte es betrachten, wann immer er dazu Lust hatte.
Im Laufe der Jahre bedeckten sich Gabelbachs Wände mit Hunderten solcher unveröffentlichten Kostbarkeiten, die meisten vom Sammler selbst gefertigt, einige aber auch von dessen Schülern und Mitarbeitern und unter diesen eines von Franziska, das farbigste und blutigste ihrer unerhörten Bilder, das denn doch zu blutfarben gewesen und deshalb nicht in die Rundschau gekommen war.
Gabelbachs Dokumente waren eigentümliche Belege zur Geschichte der Illustrierten; in ihnen steckte die Parahistorie der Rundschau, die Geschichten hinter der Geschichte; sie waren Zeugnisse von den ungelenken Übungen vor dem schnurrenden Auftritt, von verpfuschten Absprüngen und Grenzübertretungen, von Entdeckungen, die man für sich behalten mußte, und von Prüfungen, die niemand mehr beglaubigen mochte. Die Sammlung konnte leicht für eine zynische Chronik genommen werden und ihr Besitzer für einen Hundephilosophen, und Kutschen-Meyers Nachfolger, einer der rechtmäßigen Inhaber des Spitzenplatzes im Impressum der Neuen Berliner Rundschau, der Chefredakteur Herbert Bleck, hatte genau dies getan: die Bilder eine zynische Chronik genannt und den Redakteur Gabelbach einen Hundephilosophen, und nicht zuletzt deshalb gedieh die Zeitung nicht so recht, solange Herbert Bleck an der Spitze im Impressum stand.
Ohne Zweifel war Herbert Bleck ein gelehrter Mann, kannte sich aus mit frühen philosophischen Schulen und späten, kannte sich aus mit Ideen, den Reflexen des Lebens in scharfen Köpfen, war selber ein scharfer Kopf und liebte einen scharfen Ton, zumal, wenn er es war, der ihn von sich gab. Nur die Unzulänglichkeit der vorgefundenen Menschen – den Terminus »vorgefundene Menschen« schätzte er sehr –, nur deren Unzulänglichkeit hinderte ihn, die Welt zu wandelnmit einem Schlag, mit einem Schlag pro Woche, ausgeführt von der illustrierten Schrift Neue Berliner Rundschau.
Jahrelang war das Blatt ohne jemanden ausgekommen, der Chefredakteur hieß; Johanna hatte das Steuer gehalten und Kutschen-Meyer den Platz im Druckvermerk, aber dann ging, was so gegangen war, nicht mehr; man befand sich auf einer höheren Stufe der Entwicklung, die genauere Konturen der Leitungsbereiche verlangte, und irgend jemand hatte festgestellt, daß in der Führung der Rundschau äußerst verschwommene Verhältnisse herrschten.
Es kostete Johanna und ihren Assistenten, wie David immer noch genannt wurde, erhebliche Anstrengung, der Kommission der Obersten Abteilung die Ursachen dieses Zustandes einzuleuchten; deren Mitglieder wollten es nicht glauben, daß es Zeiten gegeben haben sollte, in denen man es für nicht opportun gehalten, einen Frauennamen an die Spitze eines Impressums zu setzen.
Zum Glück fand ein Kommissionsmitglied heraus, daß eben in dieser Ungläubigkeit ein Zeichen zu sehen sei für den Fortschritt, den man getan, und dafür, daß man sich jetzt auf höherer Stufe befinde; da konnte dann über Änderung nachgesonnen werden.
Die einfachste Lösung war keine; Johanna wollte nun nicht mehr namentlich werden, was sie in Taten immer gewesen war; sie wollte Herausgeberin bleiben. So entschied die Kommission nach Prüfung des Kaderbestandes, ein neuer Mann müsse ins Haus. Nein, in der Redaktion selbst fand sich niemand, der geeignet schien; die Mitarbeiter dort waren entweder zu alt oder zu jung, waren vor allem zu sehr Praktiker, und der Praktizismus stand zu jener Zeit
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