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weit oben im Katalog der die Entwicklung hemmenden Gefahren.
Ein theoretischer Kopf mußte her, ein Mensch mit Bewußtsein plus Geschichtsbewußtsein, ein nicht nur geschulter, sondern auch studierter Mann.
Der hieß dann Herbert Bleck und verfügte über ein Universitätsdiplom. Mit einer kleinen scharfen Antrittsredemachte er den Praktikern klar, daß er sie für vorgefundene Menschen ansehe, und es klang wie: notwendiges Übel, Übergangserscheinungen und zu überwindendes Durchgangsstadium.
Außer diesem machte er an seinem ersten Tag noch mindestens drei weitere Fehler: Er schnitt seinem nominellen Vorgänger Heinrich Meyer, genannt Kutschen-Meyer, das Wort ab, als der zum besten geben wollte, wie es mit Andersen Nexö in einer Kneipe am Rosenthaler Platz gewesen war, und rutschte damit aus der Kategorie fortschrittlicher Intelligenzler in die von Kutschen-Meyer ganz anders behandelte Kategorie Intellektueller ab, und wäre er ein Rundschau-Praktiker gewesen, hätte ihm dabei geschaudert.
Aber Herbert Bleck kannte sich eben mit Ideen besser aus als mit Menschen und schickte sich mit scharfem Tritt zu einem ersten Hausgang an. Da machte er den nächsten Fehler. Er geriet in Davids Zimmer, das neben dem Konferenzraum lag, sah dort ein Bändchen mit Kafka-Erzählungen, überflog die aufgeschlagene Seite, las laut den Titel der Geschichte »Die Verwandlung«, kannte sich aus mit ihr, studiert, wie er war, und befand in scharfem Ton: »Die Verwandlung eines Menschen in einen Käfer ist für uns keine annehmbare Lösung!«
Spätestens damit war er auch bei David raus, denn der überschlug sich zwar keineswegs Franz Kafkas wegen, bestaunte ihn aber sehr und wäre nur nie auf die Idee gekommen, der unglückliche Prager habe mit der Geschichte von Gregor Samsa irgend jemandem eine Lösung bringen wollen.
Doch er hatte vorerst keine Lust, mit dem neuen Chef über Annehmbares oder Unannehmbares oder auch nur einen beliebigen anderen Gegenstand zu streiten; der Mensch schien zu sehr mit sich und seiner Rolle als neuer Besen zufrieden; für Debatten war es zu früh.
Ihm war es zu früh; nicht früh genug aber könnte es, so dachte er, zum Meinungsaustausche zwischen dem neuen Besen und dem dienstältesten Hasen des Hauses kommen, demLeiter der Bildabteilung Fedor Gabelbach, und deshalb führte er die beiden einander auf kürzestem Wege zu. Er hätte Bleck ebensogut auf der Schwelle zum Labor ein Bein stellen können; härter wäre der neue Chef dann auch nicht hingeschlagen. Gabelbach mochte verschiedene Motive haben, den neuen Mann nicht zu mögen, und er benahm sich, als habe er tausend finstere Gründe. Er machte stumm, nur mit raschem Zeichen, klar, daß er im Augenblick tief beschäftigt sei, suchte ein großformatiges Foto mit der Lupe ab, zog mit Bleistift und Lineal Striche über das Bild und schnitt es dann sorgfältig in gleichmäßige Streifen, und die warf er in den Papierkorb.
Bleck sah diesem Prozeß zunächst interessiert zu, merkte dann aber wohl, daß hier an seiner Autorität herumgeschnippelt wurde, und wandte sich mit scharfem Blick den verqueren Denkwürdigkeiten an Gabelbachs Zimmerwand zu.
Aufs erste Hinsehen waren das Pressefotos, wie man sie in dieser Abteilung erwarten durfte, aber sie waren an die Wand und nicht in die Zeitung gekommen, weil sie irritierende Nebenansichten boten und so der Sache nicht dienten.
Da war zum Beispiel ein Dokument, auf dem überhaupt nichts Besonderes gefunden werden konnte, und gerade dies Fehlen des Besonderen hatte es zu einem wertvollen Stück der Sammlung gemacht. Es zeigte lediglich mehrere ernste Menschen beim Betrachten von Gemälden, und darunter stand, was es eigentlich hatte zeigen wollen, nun aber nicht zeigte und warum nicht: »Kollege« (der Name war auf Drängen Johannas überklebt), »auf dem Foto nicht zu sehen, hat gerade vor einem anderen Bild verweilt.«
Der neue Chefredakteur studierte die Kollektion, und mählich schien ihm zu dämmern: Hier stimmt etwas nicht!
Ihm gruselte sichtlich vor Franziskas unerhört blutigem Bild, und das Andenken an die Begegnung Davids mit dem Mensendieck-Turner machte ihm auch zu schaffen; die Sache mit dem unsichtbaren Kollegen schien er nicht zu begreifen, dann aber fand er etwas, wo er zupacken konnte: David war da zu sehen, in einer Menschenmenge, die auf denKnien lag, David lag auch auf den Knien, unter ein mächtiges Doppelholz gebeugt, ein Kreuz, wenn nicht alles täuschte, und auch die anderen
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