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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Blick fest auf das Rote Rathaus gerichtet hielt: »Eine Musterübung aus der Hamburger Schule für reine Mensendieck-Gymnastik: Rhythmisches Durchpendeln des linken Winkelbeins mit Heben und Senken des Standfußes; Ausgleich dieser Bewegung im Kniegelenk; Oberkörper bleibt unbewegt.« Sein Oberkörper blieb zwar mitnichten unbewegt, dafür aber seine Miene, nur ein wenig Verachtung saß in seinen Augen, als er wieder auf dem Beiwagen hockte und leicht schnaufend weitersprach: »Alle anderen Methoden sind widernatürlich, bei aller Apologie; Schule Hellerau-Laxenburg, Elli-Björksten-Schule,Dora Menzler, Hedwig Hagemann, Rhythmische Schulgemeinde Hilda Senff, Düsseldorf, das sind alles nur knochenbrecherische Abirrungen, bei aller Apologie; es muß wieder gemensendieckt werden.« Und dann saß er stumm da und sah zum Roten Rathaus hinüber, als horsteten dort die Apologeten der Pseudogymnastik, und David fragte schüchtern: »Das wäre alles an Wunsch fürs neue Jahr?«
    »Alles«, sagte der Mann, und David ging verwirrt zu seinem Rad zurück. »Nun«, sagte Gabelbach, der, wie David jetzt auffiel, nach der Mensendieck-Methode radzufahren schien, mit unbewegtem Oberkörper und starr nach vorn gerichtetem Blick, »was sagt Ihr Volk über die Zukunft? Hätten Sie etwas gegen einen kleinen Hinweis?«
    »Nein«, rief David, »ich hätte überhaupt nichts gegen einen kleinen Hinweis, Herr Gabelbach, ich hätte auch nichts gegen einen großen. Ich bin ja noch neu hier.«
    »Dann wollen wir einmal etwas Ordnung in die Sache bringen«, begann der Fotograf, während sie über den Molkenmarkt rollten. »Sie wollen eine Umfrage machen, da brauchen Sie einen Plan. Wenn Sie sich den erstbesten greifen, geraten Sie unweigerlich an solche Mensendieck-Menschen. Das hätten Sie sich übrigens selber sagen können: Wer bei dem Wetter allein auf so einem öden Platz sitzt und auf so ein ödes Bauwerk starrt, ist fast immer irgendeine Art Sektierer. Sie machen eine Umfrage unterm Volk, da stören Sektierer. Ein zweiter Vorwurf: Wenn Sie nun schon auf so einen treffen, dann müssen Sie quetschen und wringen, bis alles aus ihm raus ist. Brauchen Sie es nicht heute, so können Sie es morgen gebrauchen. Morgen sollen Sie vielleicht Sonderlinge sammeln, wie schön paßte Ihnen da der Mensendieckianer! Erst mal sammeln, ordnen können Sie später. Das beiseite, zurück zur Umfrage: Sie können nicht alle Welt fragen, brauchen Sie auch nicht, wenn Sie Allerweltsleute haben, Repräsentanten, Sprecher für viele. Also lautet der Plan: Menschen greifen, von denen anzunehmen ist, daß sie viel hören und sehen und danach ihre Meinung bilden, die dann meistens die Meinungvon vielen ist. Und trotzdem schön mischen: alt, jung, männlich, weiblich, arm und reich und so weiter. Ist das klar?«
    »Das ist klar, Herr Gabelbach«, sagte David.
    »Wen fragen Sie da als nächsten?«
    David sah sich angestrengt um, sah zwei Straßenbahnerinnen beim Plausch in der Jüdenstraße und rief: »Vielleicht eine Straßenbahnerin?«
    »Bestimmt sogar, sehr gut«, sagte Herr Gabelbach und stieg vom Rad. Eine der beiden Frauen las kurzsichtig Davids Transparent und entfernte sich. »Von mir kein Wort«, sagte sie dabei, »ick will nich inne Praffda.«
    Die andere blieb stehen und fragte Gabelbach: »Krieg ich ein Bild von ab?«
    Der wies auf David. »Da müssen Sie sich gut mit meinem Kollegen stellen; der ist hier der Bestimmer.«
    »So ’n Jungscher?« sagte sie, aber dann sah sie David sehr freundlich an. »Ich hoffe, ich werde nicht immer bei der Straßenbahn bleiben. Eigentlich bin ich Zuschneiderin, Damenoberbekleidung; einmal wird es das wieder geben, und dann ist eine Erinnerung schön.«
    Schlesien, dachte David und: Hier ist schon was mit Zukunft, und er fragte: »Ist das Ihr Wunsch fürs nächste Jahr? Wir wollen das nämlich rauskriegen für unsere Zeitung. Die Wünsche so.«
    »Die Wünsche so? Dazu braucht ihr doch nicht lange zu fragen! Ich kann euch die Wünsche an den Fingern herzählen: Daß der Mann nach Hause kommt, heil und gesund, und wenn nicht heil und gesund, wenigstens kommen soll er. Oder wenigstens erst mal schreiben, damit man weiß. Wer sich die Strafe ausgedacht hat: daß die Frau nicht weiß, ob es den Mann noch gibt und wo und wie, der hat sich eine richtige Strafe ausgedacht. Manchmal denkt man sogar darüber nach, ob man sie verdient hat. Aber ihr wollt Wünsche hören. Paar Briketts hätte man gern im Keller und wenigstens ein

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