Das Intercom-Komplott
Hälfte der Nachricht bestand aus chemischen Formeln, die zu komplizierten Diagrammen angeordnet waren. Ich bat Nicole, mir zu helfen. Es dauerte schrecklich lange, bis sie den ganzen Wirrwarr in Ordnung gebracht und zum Satz fertig gemacht hatte.
Im großen und ganzen schien es darum zu gehen, daß die taktischen Raketeneinheiten der Roten Armee bei der Lagerung von Raketentreibstoffen mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, da eine Ände rung der chemischen Struktur sie unbrauchbar machte. Die Wissenschaftler der Armee arbeiteten hart daran, dieses Problem zu lösen. Im Bericht wurden die betroffenen Waffen genannt und die Treibstoffmengen detailliert aufgeführt. Mit allen Formeln und Diagrammen füllte das Bulletin anderthalb Seiten.
Abgesehen davon, daß der Artikel zu lang und vollständig unverständlich war, abgesehen auch davon, daß ich einfach nicht verstand, welche geschäftlichen Ziele hier verfolgt werden sollten, machte mir am meisten zu schaffen, daß ich nicht begriff, wie das in das politische Konzept des Blattes passen sollte. In den Tagen des Generals gab es nur eine Art von Schwierigkeiten, mit denen die Sowjets sich abplagen mußten, nämlich politische: China, Revisionismus, Ärger mit den Satelliten, den ukrainischen Nationalismus und ähnliche Themen. Eine Nachricht wie die, daß nicht alle russischen Raketen hundertprozentig einsatzbereit seien, hätten den General kaltgelassen.
Hätte man Sorgen mit unseren Waffen, wäre er sofort hellhörig geworden; das nämlich hätte bedeutet, daß Saboteure am Werk waren, daß eine Verschwörung angezettelt wurde, die man bloßstellen mußte. Eine Meldung über Schwierigkeiten im russischen Raketensystem hingegen hätte nur bedeutet, daß die antikommunistische Freie Welt in ihren Anstrengungen nachlassen könnte – sie würde allenfalls den Liberalen, den Anhängern der Koexistenz und den Pseudointellektuellen in die Hand spielen. Zu Lebzeiten des Generals hätte ich die Story sterben lassen, ohne sie ihm auch nur zu zeigen. Trotz aller gegenteiligen Versicherungen Blochs schien damit Intercom doch sein politisches Gesicht zu ändern. Wir hatten immer noch ziemlich viele Abonnenten, die nicht anders dachten, als der General es getan hatte. Wenn sie den Inhalt dieses Bulletins verstanden, waren sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit seiner Veröffentlichung nicht einverstanden. Sicherlich würde man mir heftige Leserbriefe schreiben und mich vor den Gefahren warnen, die darin lagen, daß man einen unermüdlichen Gegner unterschätzte; man würde sogar argwöhnen, ich sei auf einen perfiden Propagandatrick der Sowjets hereingefallen. Und vor allem: Solche Dinge wirkten sich gerade dann aus, wenn es um eine Verlängerung des Abonnements ging.
Das dritte SESAM-Bulletin schien vergleichsweise harmlos. Die Überschrift lautete ›Operation Dreieck‹, aber was das eigentlich sei, wurde nicht gesagt. Zuerst wurde gemeldet, ein amerikanisches Militär-Beschaffungsamt in Brüssel habe mit einer italienischen Firma einen Liefervertrag abgeschlossen; dabei ging es um vorgefertigte Betonteile »eines neuen und interessanten Typs«. Die Frage sei nun, so hieß es weiter, wer die ›hochempfindlichen Geräte‹ liefern sollte, die für den Einbau in diese Betonklötze vorgesehen waren. Hier stünden zahlreiche Möglichkeiten offen (wieder eine schreckliche Liste von Adressen, Namen, Fabrikationsorten); zwei Anwärter (wieder zwei Namen; wahrscheinlich die von Blochs Auftraggebern) genossen das besondere Wohlwollen der wissenschaftlichen Berater der ›Operation Dreieck‹.
Wir druckten die Meldung in unserer Ausgabe vom 29. November.
Vier Tage später kam das nächste dieser technischen Monstren. Das Kuvert war in Kopenhagen abgestempelt.
Dieses Bulletin enthielt eine detaillierte Beschreibung eines neuentwickelten tragbaren Seismographen, der »nach dem variablen Trägheitsprinzip konstruiert« sei. Entwickelt hatte es ein russischer Physikprofessor (Name und Adresse fehlten auch hier nicht), um bis zu fünftausend Kilometer entfernte unterirdische Atomexplosionen feststellen zu können. Das Gerät stand auf der Geheimhaltungsliste des sowjetischen Generalstabs.
Die technische Beschreibung selbst schien mir idiotisch. Das einzige, was ich außer den einleitenden Sätzen verstehen konnte, war eine Fußnote. In ihr hieß es, daß die technischen Angaben von N. W. Skriabin, einem Mitglied der sowjetischen Handelsmission in Oslo, stammten.
Diese Fußnote
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