Das Intercom-Komplott
wollte ich beginnen.
»Aber nein, Monsieur Carter.« Die Frau hatte sich umgewandt und warf mir über die Sitzlehne einen vorwurfsvollen Blick zu. »Überlassen Sie nur alles Pierre. Er weiß immer, was am besten ist. Draußen bläst heute abend ein kalter Wind. Warum also nicht auf ein Glas Whisky und eine anregende Plauderei zu uns kommen? Wir haben uns neulich nur so kurz unterhalten, und außerdem kann man nicht vernünftig miteinander reden, wenn dieser Trottel Strommin dabei ist.«
»Es ist wirklich nett von Ihnen, mich einzuladen, aber zu Hause erwartet man mich zum Abendessen.«
»Sie können sowieso nicht nach Hause fahren, ehe Ihr Wagen nicht repariert ist. Sobald wir bei der Garage Bescheid gesagt haben, können Sie Ihre Tochter anrufen und ihr sagen, daß Sie etwas später kämen. So ist doch alles am einfachsten.«
Ich antwortete nicht. Bis jetzt hatte mich nur Morins anmaßende Gängelei geärgert, doch plötzlich wurde alles ganz anders. Wenn ein Mann in meinem Alter sagt, er werde zu Hause erwartet, wird jede Zufallsbekanntschaft annehmen müssen, es sei das sehnende Eheweib und nicht die Tochter. Diese Frau wußte zuviel, als daß ich sie noch zu meinen Zufallsbekanntschaften zählen konnte. Und genau das war der Augenblick, in dem ich begann, mir Sorgen zu machen.
Ich sah zu Schneider hinüber, der mich bieder angrinste. Er sprach nun englisch.
»Ein kräftiger Scotch täte jetzt gut«, sagte er. »Nicht wahr, Mr. Carter?«
Er sprach mit Londoner Akzent, der mich freilich nicht überzeugen konnte. BBC-Imitation, von Berlitz geliefert. Ich sah ihn unverwandt an.
Er grinste noch immer. »So hält man es doch in England, nicht wahr?«
Er schien eine Antwort zu erwarten, also gab ich ihm eine. »Ich bin Kanadier, Mr. Schneider. Aber wenn es sein muß, bin ich als Bourbon-Trinker auch mit einem Scotch zufrieden.«
Er lachte laut auf. Morin kicherte. Sogar Madame Coursaux brachte es zuwege, sich darüber zu amüsieren.
Für einen kurzen Augenblick waren wir die besten Freunde, die man sich nur vorstellen kann.
Ich kannte das Château Europa, das Apartmenthaus, in das sie mich fuhren. In Genf gibt es noch zwei ähnliche Gebäude, gesichtslose Kaninchenställe mit uniformer Einrichtung. Die meisten Wohnungen dienen nur als Pieds-à-terre – steuerflüchtigen Ausländern, die einen Proforma-Wohnsitz im Kanton nachweisen müssen, reisenden Geschäftsleuten, die hier ihre Anzüge und Wechselwäsche aufbewahren, und den hiesigen Säulen der Gesellschaft, die sich nicht in den eigenen vier Wänden mit ihren Freundinnen vergnügen können. Die wenigen ständigen Bewohner solcher Häuser bleiben unter sich; sie sind Fremdkörper in einer Gemeinschaft der Abwesenden, der seltenen Gäste und Gelegenheits-Liebhaber. Die Zimmer sind so unpersönlich – und auch nicht viel größer – wie die Kabinen öffentlicher Bedürfnisanstalten, freilich jedoch besser nach außen isoliert, wenn man die Tür erst einmal hinter sich verschlossen hat. Im Château Europa gibt es keine Wartefrau, die einen Hilferuf hören könnte.
Sie brachten mich in ein Zwei-Zimmer-Apartment in der vierten Etage.
Ich sage »sie brachten mich«, weil es tatsächlich so war. Niemand bedrohte mich oder hielt mir eine Pistole unter die Nase, aber die Art, wie sie sich bewegten, ihre Entschlossenheit und ihre Sicherheit – all das machte mir unmißverständlich klar, daß jeder Versuch, ihre Gastfreundschaft abzuschlagen, als ungezogen, lächerlich und unstatthaft angesehen worden wäre.
Kaum hatte Morin auf dem Parkplatz des Château Europa angehalten, sprang er wie ein beflissener Chauffeur aus dem Wagen und kam auf meine Seite, um mir die Tür zu öffnen. Als ich ausstieg, schlüpfte auch Schneider hinter mir heraus. Von diesem Moment bis zum Erreichen des Apartments hatten die beiden mich in ihre Mitte genommen; Madame Coursaux bildete die Queue. Keiner von ihnen berührte mich, aber sie waren sehr dicht neben mir. Als wir durch die Flügeltür in das Haus traten, ging Morin voraus, Schneider blieb zurück. Das gleiche geschah, als wir in den Lift stiegen. Alles klappte, als wäre es auf dem Kasernenhof eingeübt worden. Und auf dem ganzen Weg vom Wagen bis zum Lift redete Madame Coursaux auf uns ein; man hätte meinen können, sie sei eine überängstliche Gastgeberin am Beginn einer langweiligen Party.
»In einem Hotel zu wohnen ist so ungemütlich, finden Sie nicht auch? Wenn ich reise – und meine Arbeit zwingt mich oft dazu
Weitere Kostenlose Bücher