Das Internat
Bruder, sollte das Gericht entscheiden. Er hatte bei der Befragung durch die Polizei einige Dinge gesagt, die als Geständnis gelten konnten. Es stand in Matties Macht, die Aussagen nicht zuzulassen, aber sie wollte fair sein und ließ sie als zulässige Beweise gelten. Tatsächlich hatte sie nie damit gerechnet, dass Langston verurteilt würde. So wie die Verhandlung jetzt lief, war sie sich nicht mehr so sicher.
"Hier ist deine geliebte Zeitung."
Mattie schaute hoch und sah, wie Jaydee auf die Ausgabe des
San Francisco Chronicle
deutete, die auf ihrem Schreibtisch lag.
"Du liest das Ding wegen der Kleinanzeigen, richtig?" Er nickte wissend.
Mattie machte sich nicht die Mühe, ihm den bösen Blick zuzuwerfen, den er verdiente. Es war sowieso hoffnungslos. Sie kannten sich schon seit Jahren, und in mancher Hinsicht waren sie sich näher als Verwandte. Sie war seine Mentorin in allen rechtlichen Belangen. Wegen ihrer einzigartigen Verbindung hatte sie besonders darauf geachtet, ihm den Umgang mit Richtern beizubringen. Außerhalb der Kammern behandelte Jaydee sie mit äußerster Ehrerbietung und Respekt, aber innerhalb der Kammern war das eine andere Geschichte.
Mattie hatte noch als Anwältin gearbeitet, als Jaydee ihr Kronzeuge gegen einen Drogenbaron gewesen war, der den Großteil der hispanischen Jugend in Orange County beliefert hatte. Auf dringendes Anraten der lokalen Polizei musste Mattie damals ständig eine schusssichere Weste tragen.
Jaydee entstammte einer Macho-Gangkultur und war es nicht gewohnt, einer Frau nach der Pfeife zu tanzen. Trotz allem zwang Mattie ihn nicht zur Aussage. Aus persönlichen Gründen sagte er aus. Mit dreizehn Jahren riskierte er alles, um dabei zu helfen, den Drogenhändler dingfest zu machen, und seine Aussage brachte den Mann lebenslang hinter Gitter. Außerdem brachte es Mattie in sein Leben. Sie profitierte von ihrer Verbindung enorm, aber Jaydee verlor. Alles. Die Schläger des Drogenkönigs ermordeten seine einzigen noch lebenden Familienmitglieder – die Großeltern, die ihn aufgezogen hatten.
Matties Schock und Kummer kamen dem von Jaydee sehr nah. Er war zu stolz, um sich offen von ihr trösten zu lassen, aber sie fand andere Wege. Sie wurde seine Familie, holte ihn zu sich in die Bay Area, wo sie aufgewachsen war. Sie eröffnete eine Anwaltspraxis und gab ihm einen Job. Aber weil sie so viel arbeitete, fand sie für ihn eine Pflegefamilie, bei der er wohnen konnte.
Als er sich für eine Karriere als Anwalt entschied, freute sich Mattie darüber.
Soweit es sie betraf, konnte Jaydee Sanchez sie wegen ihrer Weste oder ihrer Taucheruhr jederzeit piesacken. Außerdem war er nicht der Einzige, der sich Bemerkungen dieser Art erlaubte. Sie war bekannt als der 50-Kilo-Pitbull mit den kobaltblauen Augen. Sie sah das positiv. Wenn ein Geheimnis ihre Gegner so lange verwirrte, dass sie daraus einen Vorteil schlagen konnte, dann sollten sie sich in Gottes Namen gern wundern.
"Könnten wir über den Fall Langston sprechen?", fragte sie. "Der macht mir wirklich Sorgen."
"Kein Scheiß?" Jaydee zog einen gelben Block voller Notizen aus seiner überfüllten Aktentasche. "Der Pflichtverteidiger ist unfähig und die Anklage brillant. Die lassen den Jungen aussehen wie das Monster aus
Alien."
Mattie konnte ihm nur zustimmen. Einmal war der Staatsanwalt zu den Geschworenen hinübergeschlendert und hatte sich zu Langston umgedreht, einem stämmigen Jugendlichen mit rasiertem Kopf und einer hässlichen Narbe im Gesicht, die von dem Kampf mit seinem Vater stammte. "Können Sie sich vorstellen", hatte der Staatsanwalt zu den Geschworenen gesagt, "welche Angst das Kind gehabt haben muss, als es im Dunkeln aus dem Bett gerissen wurde? Wie stellen Sie es sich vor, von diesem Mann entführt zu werden?"
Eine Verzweiflung, die für eine Richterin vollkommen unangemessen war, hatte Mattie in diesem Moment erfasst. Wenn ein empfindsames Herz in dem alles abstreitenden Langston schlug, war es schwer zu erkennen.
"Der Staatsanwalt versucht, es wie einen Machtkampf zwischen Langston und seinem Vater aussehen zu lassen", sagte Jaydee. "Und er macht seinen Job gut. Er will die Geschworenen glauben machen, dass sie das Kind wie einen Fußball hinund hergetreten haben."
Natürlich hatte der Vater den Missbrauch während seiner Zeugenaussage geleugnet, und er sagte, dass sein ältester Sohn ihn wegen einer Testamentsänderung hasse und ihn deshalb bedrohe. Er behauptete sogar, dass sein Sohn
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