Das irische Erbe
schlechter Stimmung.
»Ach, was«, winkte er ab. »Du wirst dich besser fühlen, wenn wir rausgehen.«
»Raus? Willst du etwa ausreiten?«
»Ja, und du kommst mit. Mach dir Esquire fertig, sie ist draußen lammfromm.«
Gehorsam zog sie sich um und sattelte die Stute. Als sie zusammen den Hof verließen, winkte Nina ihnen nach. Das Wetter war dunstig, aber trocken. Sie konnten nebeneinander auf dem Weg bleiben und Alex erzählte von einem Landwirt, der seinen Hof verkauft habe und nun auf dem Weg nach Spanien sei.
»Ich glaube nicht, dass es ihm dort gefallen wird. Das habe ich ihm auch gesagt. Bin mal gespannt, wie lange er es aushält ohne die Rinder und Schafe.«
Sie trabten zweimal, wobei sie Esquire ziemlich treiben musste, damit sie an Alex' Seite bleiben konnte. Nach einer längeren Schrittpause sagte Alex, dass sie nun einmal galoppieren würden.
»Aber ich kann nicht galoppieren«, sagte sie ängstlich. »Ich weiß nicht, wie es geht.«
»Okay. Lass dich einfach mal tragen.«
Er schnalzte einmal mit der Zunge und galoppierte an und Esquire fiel auch sofort in Galopp. Im ersten Moment erschreckten sie die wuchtigen Sprünge. Sie konnte nicht richtig sitzen und hatte das Gefühl, dem Pferd jedes Mal in den Rücken zu fallen. Alex blieb an ihrer Seite und sagte: »Lehn dich ein wenig nach vorne und halte die Hände tief, dann geht es besser.«
Sie versuchte es und es ging tatsächlich besser. Als sie wieder im Schritt waren, klopfte sie Esquire am Hals und lobte sie.
»Das gefällt mir«, sagte Alex versonnen.
»Was?« Sie war immer noch etwas außer Atem.
»Dass du immer sofort an das Tier denkst und nicht an dich.«
Sie freute sich und machte es Alex nach, als dieser die Zügel länger werden ließ. Sie schwiegen eine Weile, dann begann Alex von Ben zu sprechen. Ben sei ein gebranntes Kind. Er habe schon einige Enttäuschungen erlebt. Sie versuchte, nicht allzu neugierig zu wirken, fragte aber dennoch: »Wieso? Was ist passiert?«
Alex erzählte, Ben habe geheiratet und es sei in der Ehe von Anfang an schlecht gelaufen. Seine Frau war depressiv und die Ehe ein einziges Auf und Ab.
»Und woran lag es?« Sollte er doch ruhig denken, dass sie neugierig war.
»Marisa hatte immer noch zu Denis, ihrem früheren Verlobten, Kontakt.«
Marisa.
»Mehr, als der Ehe guttat. Die Verlobung war vor Ben gelöst worden, aber es schien so, als kämen die beiden nicht voneinander los. Sie telefonierten oft, sahen sich hin und wieder und Ben ging fast die Wände hoch.«
Das konnte sie verstehen. Sie würde nie auf die Idee kommen, Viktor anzurufen.
»Aber statt sich von ihr zu trennen, stand er ihr bei. Sie war manisch-depressiv und oft stationär in einer Klinik. Ich sagte ihm damals, er solle Schluss machen. Aber er wollte nicht. Wenn sie krank war, brachte er es nicht fertig, und wenn sie wieder in Ordnung war, warb er um sie und verzweifelte fast. Die beiden waren wie eine Symbiose. Der eine konnte nicht ohne den anderen.«
Seine Worte taten ihr weh. Sie sah Marisa vor sich. Rothaarig, schlank, sehr empfindsam, beschützenswert, weil psychisch labil.
»Sie konnte ungeheuer charmant sein. Sie brachte Ben perfektes Deutsch bei, indem sie ihn stundenlang vorsprechen ließ. Wie bei einem Casting. Sie machten das wochenlang und Ben wurde nicht müde. Sie ließ ihn die Buddenbrocks vorlesen und korrigierte seine Aussprache so lange, bis sie perfekt war.«
Eine tüchtige Frau also.
»Und der Exverlobte? Warum hat er sich nicht zurückgezogen?«
»Weil er Marisa nicht aufgeben wollte. Ben war zeitweise richtigem Telefonterror ausgesetzt. Einmal«, fuhr er fort, »tauchte der Verlobte nachts bei ihnen auf und wollte Marisa sofort mitnehmen.«
Meine Güte.
»Und Marisa wusste nicht, was sie wollte, und bat um Bedenkzeit. Und Ben war völlig fertig und wurde einmal sogar handgreiflich. Und eine Woche später musste Marisa wieder in die Klinik.«
Was mochte Ben nur gedacht haben, als er Viktor sah? Verdammt. Dass sie den gleichen Eiertanz aufführte wie seine Exfrau? Sie musste unbedingt mit ihm sprechen. Andererseits, beruhigte sie sich, hatte sie ihm noch sagen können, dass Viktor nicht ihr Verlobter sei. Das war doch unmissverständlich. Was hatte sie ihm denn noch gesagt? Sie versuchte sich zu erinnern, wusste es aber nicht mehr. Sie hätte ihm sagen sollen, dass Viktor sehr von sich eingenommen war und deshalb so selbstsicher wirkte. Und sie hätte ihm sagen sollen, dass sie Viktor überhaupt nicht
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