Das irische Erbe
glaube, wir reden besser morgen weiter.«
Er stand auf, als Tim gerade wieder in der Tür erschien.
»Wann soll ich morgen kommen?«, fragte er kühl.
»Wollen Sie nicht hier schlafen?«, fragte Tim schüchtern.
»Haben wir denn ein Gästezimmer?«, fragte sie erstaunt. Sie hatte sich das Haus noch gar nicht richtig angesehen.
Viktors Blick sprach Bände.
»Ja, neben deinem. Hast du noch nicht reingeschaut?«, fragte Tim verwundert.
»Nein, ich bin nicht dazu gekommen«, sagte sie und merkte, dass sich alles vor ihr drehte. Was zum Teufel war mit ihr los?
»Erspart mir eurer Gästezimmer. Ich ziehe ein Hotelzimmer in Galway vor.« Viktor sprach zu niemandem im Besonderen, wandte sich jetzt aber an Claire: »Ich denke, morgen geht es dir sicher besser.«
Sie wollte widersprechen, aber Tim griff nach ihrem Arm.
»Das ist eine gute Idee. Wir könnten gemeinsam frühstücken, so gegen neun Uhr.«
Aber Viktor überging Tims Angebot und sagte zu Claire: »Ich bin gegen elf Uhr da. Das sollte reichen.«
Klar, sie schlief ja jeden Morgen bis in die Puppen. Und er ignorierte Tim einfach, was sie sofort wieder wütend machte. Das würde sie ihm morgen vorhalten. Seine schlechten Manieren. Wo er doch auf Umgangsformen so viel Wert legte. Genau, das würde sie tun. Sie brachte ihn zu seinem Wagen.
»Woher wusstest du von dem Hof meines Bruders?«, fragte sie nun doch.
»Ich habe mich nach einer privaten Reitgelegenheit erkundigt. Und da sagte mir jemand, ein Deutscher habe hier einen Hof gekauft. Mit seiner Freundin zusammen. Wo ist die eigentlich?«
Er kannte Nina. Die beiden waren sich einmal bei ihr begegnet, als Nina kurz nach Deutschland musste, um etwas bei einer Behörde zu klären. Sie hatte Viktor kurz gesehen und sofort gesagt, sie möge ihn nicht. Wie hatte sie ihn noch genannt?
»Bekomme ich keine Antwort?«, sagte Viktor, der sich im Recht sah. Wie so oft.
»Was denn?«
»Nina, wo sie ist, obwohl es mich ehrlich gesagt nicht im Geringsten interessiert.«
Sie wollte ihm sagen, dass es ihn auch nichts anginge und Nina ihn sowieso nicht leiden konnte und er sich überhaupt unmöglich benahm, als ihr ein Gedanke kam.
»Nina sieht sich morgen einen Deckhengst an«, sagte sie leichthin. »Ein Spitzentier, riesengroß, springt über die höchsten Hindernisse. Wir wollen vielleicht eine Station aufmachen.«
Nannte man das nicht so?
»Eine Deckstation?«, fragte Viktor. »Aber ein Deckhengst ist doch ziemlich teuer, oder?«
Das schien ihn jetzt doch zu beeindrucken.
»Ja«, improvisierte sie. »Er kostet ungefähr so viel wie ein Einfamilienhaus.«
Das hatte irgendwann einmal Tim erwähnt. Dass Pferde so teuer sein konnten.
»Was, so viel?«, wunderte sich Viktor und ließ seinen Blick mit neu erwachtem Interesse über den Hof gleiten. Das war typisch für ihn. Das imponierte ihm natürlich. Ein großes, teures Pferd.
»Ein Reihenhaus meinst du wahrscheinlich, oder?«
Im ersten Moment verstand sie nicht. Dann erinnerte sie sich.
»Nein, etwas mehr ist es schon«, sagte sie total leger.
In Viktors Miene spiegelte sich ganz kurz so etwas wie Neid oder Missgunst. Er schloss seinen Wagen auf und fragte: »Ist elf Uhr recht oder lieber später?«
»Natürlich ist elf Uhr okay. Was glaubst du denn, wann wir morgens die Tiere füttern?«
Tim zumindest. Sie hatte ja Angst.
Er blieb ihr die Antwort darauf schuldig, reichte ihr nur die Hand, wie einer völlig Fremden, und stieg ein. Sie blieb stehen, bis der Wagen um die Ecke bog. Er hatte noch nicht einmal gefragt, warum sie nach Irland gereist war. Es schien ihn ja nicht sonderlich zu interessieren. Warum war er dann überhaupt gekommen?
Sie ging zurück zum Haus. Dann fiel es ihr ein. »Blödmannsgehilfe«, so hatte Nina ihn einmal genannt.
Tim saß vor seinem Tee und sah unglücklich aus.
»Hey, was ist los?«, sie berührte seine Hand.
»Wirst du mit ihm zurückgehen?«, fragte er.
»Nein«, beruhigte sie ihn. »Mach dir keine Gedanken deshalb.«
Tim lächelte erleichtert.
»Waren die Pferde schon versorgt?«
»Ja«, bestätigte er. »Piet war da gewesen.«
Sie schlief nicht gut, wachte immer wieder auf und drehte sich auf die andere Seite. Am Morgen fühlte sie sich wie gerädert. Und ratlos. Was sollte sie Viktor sagen? Und was erwartete er jetzt von ihr? Sie wusste es. Er erwartete natürlich, dass sie ihre Sachen packte und mit ihm zurückfuhr. Und sich entschuldigte. Und sagte, dass er wieder einmal recht hatte. Und dann würden sie
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