Das irische Erbe
Weggang offenbar nicht mehr gegossen worden waren. Eine hatte nur noch vertrocknete Blätter, die andere hatte fast alle Blätter verloren. Sie holte ein Glas Wasser aus der Küche und goss sie.
Alles in allem hatte der Raum einen urigen Charme und gefiel ihr.
Sie stieg hoch in die erste Etage. Am Ende des Flurs war ein Fenster. Sie blickte hinaus auf den total verwilderten Garten, wenn man ihn überhaupt so nennen wollte. Es war eher der Versuch eines Gartens. Zwei ehemals weiße, nun vergilbte Plastikstühle standen nebeneinander. Rechts und links befand sich je ein länglicher Blumenkübel, offenbar als Begrenzung einer imaginären Terrasse gedacht. Eine Begonie und eine Pflanze, die sie nicht kannte, kümmerten vor sich hin. Nach hinten hinaus erstreckte sich ein bewaldetes Gebiet. Hin und wieder konnte sie einen Blick auf den See erhaschen.
Vor ihrem Zimmer lag das Gästezimmer, das mit einem Bett, einem Schrank und einem Nachttisch ausgestattet war. Die Tapete mit orangefarbenen und grünen Ornamenten erinnerte an die Siebzigerjahre. Der auf dem Boden liegende Flokati ebenfalls. Ihrem Zimmer gegenüber lag Tims Schlafzimmer. Sie warf nur einen kurzen Blick hinein. Ein Doppelbett, geblümte Vorhänge, zwei bunte Läufer auf dem Boden. Auf dem linken Nachttisch zwei Bücher. Ninas. Über dem Kopfteil des Bettes hing ein großes Pferdeposter mit einem galoppierenden schwarzen Hengst. Eine Kleiderschranktür stand offen und sie erspähte eine kunterbunte Bluse. Ninas. Wie oft hatte sie sie darin gesehen?
Es gab noch ein großes Badezimmer, das Tim im ursprünglichen Zustand belassen hatte. Eine Wanne mit Füßen, hellgelbe Wandfliesen, rot-schwarze auf dem Boden. Gebrauchte Handtücher hingen auf dem Rand der Wanne. Zwei kleine Waschbecken, im rechten befanden sich noch die Reste von Zahnpasta. Unter dem Fenster stand ein kleiner weißer Schrank mit Schubladen.
Sie ging wieder nach unten und begann, in der Küche sauber zu machen. Die leeren Flaschen stellte sie in den Flur und sie musste an ihren Vater denken, der die leeren Weinflaschen immer vor seinen Kindern versteckte, obwohl sie beide wussten, dass er gerne etwas trank. Und ihre Mutter spielte das Spiel mit und behauptete, sie brauche den Wein zum Kochen.
Ihr Elternhaus war für sie nie ein richtiges Zuhause gewesen. Ihre distanzierten Eltern lebten mehr für die Ehe als für die Kinder. Das Haus zeugte davon in besonderer Weise. Die weißen Hochglanzmöbel der Küche waren so empfindlich, dass sie und Tim sie nicht anfassen durften. Das Wohnzimmer mit den beiden zierlichen Tischlampen und den ausgesuchten Antiquitäten war für sie und Tim tabu. Das Bad bestand aus Marmor und war immer kalt, weil es keinen Heizkörper gab. Den wollte ihre Mutter nicht, weil er den Gesamteindruck gestört hätte, wie sie einmal erklärte. Sie konnten nur in ihren Zimmern spielen, die sehr klein und lieblos mit identischen Möbeln ausgestattet waren. Nur diese Räume hatten sie überhaupt als Zuhause bezeichnen können. Tim war oft bei ihr gewesen, weil er nicht gerne alleine spielte.
Als sie mit ihrer Putzaktion fertig war, setzte sie sich mit Kaffee an den Küchentisch. Es war noch etwas Zeit. Tim war in aller Frühe aufgebrochen, um sich die Stute anzusehen. Den Anhänger hatte er mitgenommen. Soviel sie wusste, wollte der Tierarzt ihn begleiten. Sie müssten bald zurück sein. Sie notierte sich ihre Überlegungen zu einem Hotel, schweifte dann ab und dachte darüber nach, welches Holz sie für die Möbel wählen sollte. Vielleicht Kirschbaum, dessen kräftige Farbe und Struktur ihr gut gefiel.
Zehn Minuten später fuhr der Wagen auf den Hof. Lautes Gepolter ertönte aus dem Anhänger. Erschrocken lief sie hinaus. »Ist etwas passiert?«, fragte sie.
»Nein, bleib zurück«, sagte Tim. »Die Stute ist extrem scheu. Wir müssen sie noch einmal spritzen, damit wir sie überhaupt in den Stall bringen können.«
Alex ging mit einer aufgezogenen Spritze an die Rückseite und verhielt sich ganz ruhig. Als das Tier einen Moment verschnaufte, setzte er blitzschnell die Spritze und wich sofort zurück. Die Hufe des Tieres donnerten gegen die Rückwand. Er warf die Spritze in einen Abfalleimer und kam zu ihr.
»Hallo.«
»Was ist mit ihr los?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Sie hat wahrscheinlich schlechte Erfahrungen gemacht. Ihr Bruder hat sich viel vorgenommen, wenn er glaubt, er könne sie an sich gewöhnen.«
»Ich glaube, jetzt können wir«, rief Tim.
Alex
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