Das irische Erbe
Irgendwann würde das Tier sich doch beruhigen müssen. Aber nach zehn Minuten stand die Stute immer noch unverändert ängstlich da, den Kopf gehoben, die Ohren gespitzt. Langsam näherte sie sich der Box. Sofort drängte sich das Tier noch mehr in die Ecke. Wieder blieb sie stehen. Die anderen Pferde hatten ihre Anwesenheit vergessen oder nahmen keine Notiz von ihr. Sie wühlten im Stroh auf der Suche nach Resten von Heu oder dösten vor sich hin.
In der Tür erschien eine Katze und spazierte selbstverständlich hinein. Wem mochte sie gehören, überlegte sie. Sie hatte kein Katzenfutter in der Küche gefunden. Die Katze setzte sich mitten auf die Stallgasse und begann sich zu putzen. Die von draußen hereinfallende untergehende Sonne ließ ihr Fell rötlich glänzen wie Seide. Sie schien noch ziemlich jung zu sein, denn sie war noch nicht ausgewachsen. Und etwas Kindliches haftete ihrem Gesicht an.
Sie merkte plötzlich, dass sie glücklich war, einfach so. Etwas Neues würde beginnen. Sie schloss einen Moment die Augen und lauschte auf die Geräusche der Tiere. Eines der Pferde spielte mit seiner Tränke. Sicher Scabri, der das gerne tat. Es roch intensiv noch Hafer und Heu und überhaupt nach Pferd, ein Geruch, den sie angenehm fand und den auch Tim immer mit nach Hause gebracht hatte. Princess hatte aufgehört zu scharren. Sie wusste, dass sie jetzt kein Futter bekommen würde. Tim sagte, sie würde immer weiter fressen, wenn sie könnte, und sie solle ihr grundsätzlich nichts geben, wenn sie scharrte. Außerdem sei das Scharren schlecht für die Gelenke. Es würde den Verschleiß fördern und die Tiere irgendwann zum Reiten untauglich machen.
Ein heiseres Wiehern ließ sie die Augen öffnen. Die Stute drängte sich immer noch ängstlich in die Ecke, blickte aber zu ihr hin. Wieder wieherte sie leise und Claire sah sie fasziniert an. Sie hatte keine Ahnung von der Psyche der Tiere. Aber sie war sich sicher, dass die Stute gerade Kontakt mit ihr aufgenommen hatte.
8
E s war wieder etwas frischer geworden und sie war froh über die Strickjacke, die sie trug. Allmählich wurde es kälter. Ob es in Irland im Winter auch schneite?
Sie war jetzt seit fünf Tagen hier. Aber außer der Idee, ein Hotel aufzuziehen, war noch nichts passiert. Allmählich wurde die Zeit knapp. Und Tim war schon wieder unterwegs. Er hatte ihr zwar gesagt, wohin er wollte, aber sie wusste es nicht mehr. Sie mussten nun unbedingt konkrete Pläne machen. Und Tim würde sich daran auch beteiligen müssen. Sie nahm sich vor, noch am gleichen Abend mit ihm über das Grundstück zu sprechen, das sie brauchten. Und dann würden sie den Eigentümer aufsuchen. Ihre Stimmung hob sich etwas.
Sie wollte noch einmal um den Besitz laufen. Im Gehen kamen ihr oft die besten Ideen. Princess stand wieder auf der kleinen Weide und zupfte Gras. Sie konnte sie schon von den anderen Pferden unterscheiden, was aber nicht schwer war, denn sie hatte einen zackenförmigen weißen Stern auf der Stirn. Auch die anderen Pferde hatten ihre ganz besonderen Merkmale. Esquires rötliches Fell glänzte immer, als sei sie stundenlang geputzt worden. Und Farewell schüttelte oft mit dem Kopf, als habe er sich einen Witz erzählt, wie Tim einmal sagte.
Sie legte die Arme auf die oberste Planke und sah Princess versonnen zu. Die Stute wurde offensichtlich von einer lästigen Fliege geärgert, denn sie schlug mit dem Schweif und versuchte einmal mit dem Kopf seitlich an die Flanken zu gelangen.
Allmählich verstand sie Tim und seine Begeisterung für Pferde besser. Und sie hatte auch nicht mehr so große Angst vor den Tieren.
Irgendwas war am Vortag geschehen, als die neue Stute sie hilfesuchend ansah. Etwas hatte sie berührt und sie wäre gerne zu ihr gegangen, um sie zu streicheln und zu beruhigen. Um ihre Arme um ihren schweißnassen Hals zu legen. Noch nie hatte sie so etwas für ein Tier empfunden. Und dann auch noch ein Pferd. Sie verstand sich selbst nicht.
Sie musste an ihren Vater denken, der Tim einmal einen › Sonntagsreiter ‹ nannte und überhaupt keine Ahnung hatte, was die Pferde seinem Sohn bedeuteten. Beide Elternteile interessierten sich nicht für Tims Hobby und im Grunde auch nicht für ihn. Sie wollten eigentlich nur so schnell wie möglich ihre Zweisamkeit wieder aufnehmen, die sie vor der Geburt der Kinder genossen hatten. Wie sie mehrmals betonten. Als Tim volljährig wurde, verkauften sie das Haus und verließen Deutschland mit dem
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