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Das irische Erbe

Das irische Erbe

Titel: Das irische Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Clemens
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ihre Mutter bestärkte sie in ihrer Ängstlichkeit noch, als sie meinte, sie sei sowieso nicht sonderlich sportlich.
    Als Tim nach der ersten Stunde begeistert von der großen Fuchsstute erzählte, die er geritten hatte, war sie ein wenig neidisch. Aber die Angst blieb. Für ihre Eltern war die Sache mit der einen Reitstunde erledigt. Aber Tim bettelte und wollte weiter reiten gehen und ihre Eltern willigten schließlich ein, ihm eine Stunde in der Woche zu finanzieren. Dafür musste er aber auf sein Taschengeld verzichten. Weil ihm eine Stunde zu wenig war, begann er, einige Privatpferde zu putzen. Und irgendwann durfte er die Pferde trocken reiten. Dann erlaubte einer der Besitzer ihm, sein Pferd zweimal in der Woche leicht zu bewegen. Andere kamen dazu. Und weil er sich geschickt anstellte, gab der Reitlehrer ihm schließlich kostenlos Unterricht.

    Nina ging von Anfang an mit ihm, bekam aber von ihrer Mutter kein Geld für Stunden. Sie war nicht so schüchtern wie Tim und fragte einfach einen der Besitzer, ob sie sein Pferd auch einmal trocken reiten dürfe. Sie durfte. Sie guckte sich bei Tim ab, wie es ging und lernte wie nebenbei reiten. Und sie war sogar gut darin.
    Nina kam aus schwierigen Verhältnissen. Ihre Eltern waren noch jung und voll und ganz mit sich selbst beschäftigt. Die meiste Zeit stritten sie.
    Einmal übernachtete Nina bei ihnen, weil sie es zu Hause nicht aushielt. Sie stand abends vor der Tür und weinte. Claire bot ihr sofort an, bei ihr zu schlafen, was ihren Eltern aber nicht recht war. Ihre Mutter betonte spitz, es sei eine Ausnahme, sie wären schließlich kein Obdachlosenasyl. Claire schämte sich für ihre Mutter, aber Nina war überglücklich, dass sie an diesem Abend nicht nach Hause musste, und rief ihre Eltern auch nicht an, weil sie sie sowieso nicht vermissen würden, wie sie treuherzig sagte. Sie schwärmte noch lange von der tollen Familie ihres Freundes und brachte beim nächsten Besuch Claires Mutter zum Dank einen Strauß selbst gepflückter Feldblumen mit.
    Damals sagte Tim, dass er eines Tages ein eigenes Haus bauen werde. Eines für sich und Nina und dann könnten sie stundenlang reden, ohne jemanden zu stören. Es war Claire immer schleierhaft gewesen, worüber die beiden redeten, wenn sie zusammen waren. Die wenigen Male, die Nina bei ihnen schlief, endeten damit, dass Tim und sie bis zum Morgengrauen aufblieben. Und redeten. Wenn sie zusammen lernten, erledigten sie den Stoff in kürzester Zeit. Und redeten. Claires Mutter sagte einmal, es sei nicht normal, das ewige Gerede, und ob sie nichts Sinnvolleres tun könnten.
    Nina. Wo mochte sie bloß stecken? Was war bloß passiert mit den beiden? Allmählich begann sie sich Sorgen zu machen. Wenn Nina spurlos verschwand, würde es keinem auffallen. Niemand würde sie vermissen. Sie nahm sich vor, noch eine Weile zu warten, aber dann etwas zu unternehmen. Notfalls musste sie zur Polizei gehen.
    In der Ferne sah sie einen rauchenden Schornstein. Es war fast elf Uhr. Wenn Tim zurück war, würde sie mit ihm die nächsten Schritte besprechen. Es wurde allmählich Zeit.
    Witzig, wie das mit der Zeit so war. Sie war erst vor fünf Tagen nach Irland gekommen, aber es kam ihr viel länger vor. Alles war ihr schon vertraut, sogar die Pferde.
    Wieder fiel der Schornstein in ihr Blickfeld. Das war sicher der Besitzer des Grundstücks. Und wenn sie einfach zu ihm ging? Sie blieb einen Moment stehen. Warum eigentlich nicht? Sie konnte sich immerhin als neue Nachbarin vorstellen und dann das Gespräch auf das Grundstück bringen.
    Entschlossen ging sie weiter.
    Der Weg war trocken und fest. Rechts und links lagen Felder. Kartoffeln, wie sie an den dunkelgrünen Blättern und vereinzelten purpurnen Blüten zu erkennen glaubte. Nach dreihundert Metern bog sie links auf einen schmaleren Weg ein, der von den tiefen Spuren eines Traktors geprägt war. Er führte geradewegs in den Hof. Sie atmete tief durch. Wäre doch gelacht, wenn sie ihn nicht zum Verkauf überreden könnte. Obwohl sie keine Ahnung von den Grundstückspreisen hatte. Sie zögerte. Oder war es unklug, gänzlich unvorbereitet vorzupreschen? Sollte sie sich nicht besser mit Tim beraten? Sie überlegte. Aber dann entschied sie, ihrem guten Gefühl zu vertrauen und es zu versuchen.
    Am Hof angekommen, blieb sie einen Moment stehen. Die Stallungen und das Wohnhaus bildeten einen hufeisenförmigen Komplex. An der kurzen Seite war allerdings eine ungefähr fünf Meter breite

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