Das irische Erbe
halbe Stunde später. Sie sah ihn und ging auf den Hof.
»Hallo«, sie ärgerte sich wegen ihrer plötzlich aufgetretenen Schüchternheit und sagte forsch: »Trinken Sie einen Kaffee mit mir? Ich habe gerade welchen aufgebrüht.«
»Ja, gerne.«
Sie setzten sich und sie reichte ihm eine Tasse, so wie sie es jeden Morgen auch mit Tim machte.
Ben erzählte, die Kirche habe großen Anklang gefunden und es habe alles geklappt.
»Ich hatte zehn Leute im Dauereinsatz, weil wir Fristen einhalten mussten. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir auch hier pünktlich fertig werden.«
Dann sprach er von seiner Baufirma, die er gegen seinen Willen übernommen hatte.
»Aber ich kannte den Eigentümer und habe es ihm zuliebe getan.«
Anfangs sei es schwer gewesen, aber jetzt laufe das Unternehmen gut.
»Mein eigentlicher Traum war aber immer, Brücken und Hochhäuser zu bauen. Richtig große Projekte.«
»Aber das machen Sie doch jetzt mit der Kirche«, wandte sie ein.
»Ja, stimmt. Aber das sind einzelne Aufträge. Ich wollte nie Einfamilienhäuser bauen. Aber das ist genau das, was ich im Moment tue. Und hier in Irland gibt es keine Großprojekte. Und weggehen konnte ich nicht.«
Sie hätte zu gerne gewusst, warum er nicht weggehen konnte. Dann fiel ihr Marisa ein. Eine Freundin oder Ehefrau?
Sie schwiegen kurz, dann fragte er ruhig: »Meine Kirche wird am Freitag eingeweiht. Haben Sie Lust mitzukommen und sie sich anzusehen?«
Ihr Herz pochte, sie musste einmal schlucken.
»Ja, gerne. Ich habe so etwas noch nie gesehen.«
»Eine Kirche?«, neckte er sie.
»Nein, die Einweihung einer Kirche«, lächelte sie und verdrängte den Gedanken an Marisa.
»Nun, dann wird es höchste Zeit.«
Abends kam Tim mit Jennifer und deren Pferd. Claire war damit einverstanden, dass sie das Tier auf dem Hof unterstellte. Aber so viel Großzügigkeit durfte nicht zur Gewohnheit werden. Sie würden die Boxen noch für ihre Gäste benötigen.
Rumpelnd fuhr der Wagen bis vor die Stallungen. Claire kam hinaus.
Jennifer strahlte bei ihrem Anblick und drückte sie kurz.
»Ich bin so glücklich, dass ich hier unterkommen kann«, sagte sie. »Ihr werdet es nicht bereuen.«
Jennifers Pferd war ein großer, sanftmütiger brauner Wallach mit einer seltsamen Zeichnung am Kopf. Der Kopf war von den Nüstern bis hinauf in die Stirn weiß, wobei bei dem rechten Auge wieder die braune Farbe einsetzte, bis auf einen kleinen weißen Fleck oberhalb. Das linke Auge lag aber noch in der weißen Zeichnung. Irgendwie sah es komisch aus, als habe es eine andere Farbe als das andere Auge. In der Mitte des Kopfes saßen noch sechs fuchsfarbene Flecken.
Tim sah ihren Blick und erklärte: »Das ist eine Laterne, so nennt man die weiße Zeichnung. Und das linke Auge ist ein Glasauge.«
»Ein Glasauge?«, rief Jennifer. »Verdammt, er hat mich reingelegt. Er ist also auf einem Auge blind?«
»Nein«, Tim lachte. »Das ist eine Pigmentstörung der Iris. Die Augen sind in Ordnung. Niemand hat dich reingelegt.«
Sie brachten den Wallach im Stall unter und Tim zeigte Jennifer, wie man eine Box einstreute. Der Wallach war gut genährt, stürzte sich aber sofort auf das Heu, das Tim ihm hinlegte.
»Claire, zeig Jennifer doch, wie man ihn putzt.«
Claire holte Kardätsche und Striegel und erklärte Jennifer die Handhabung. Jennifer stand mit geöffnetem Mund daneben, ließ sich alles erklären und versuchte es dann selber. Sie bewegte sich noch ein wenig ungeschickt, gab sich aber Mühe und schien Tiere zu lieben. Während sie das Fell bearbeitete, erzählte sie Claire unaufgefordert, sie habe eigentlich lieber etwas Handwerkliches machen wollen, aber ihr Vater wollte, dass sie studierte. Rechtswissenschaft, so wie er auch.
»Aber ich mag die ganze Thematik nicht«, sagte sie und kratzte vorsichtig eines der Vorderhufe aus. »Ich sehe mich einfach nicht in einem Gerichtssaal und ein Plädoyer für meinen Mandanten halten, der vielleicht Dreck am Stecken hat.«
Claire verbiss sich ein Lachen. Auch sie konnte sich Jennifer nicht als Anwältin vorstellen.
Ben holte sie pünktlich ab und sie dankte Gott für Ihre Eingebung, sich sportlich anzuziehen. Auch er war leger gekleidet in einer dunklen Jeans und einem hellen Hemd. Sie hatte sich dreimal umgezogen, weil ihr das helle Kostüm zu streng und der Hosenanzug zu elegant vorgekommen war. Stattdessen hatte sie sich für eine dunkelgrüne Stoffhose und ein passendes Twin-Set entschieden. Ihr Make-up bestand aus
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