Das irische Erbe
ihren Ohren und sie befürchtete, ihn nicht verstehen zu können.
Aber dann wurde die Tür von innen geöffnet und sie blickten in Tims überraschtes Gesicht.
»Warum kommt ihr denn nicht hinein?«, fragte er.
Ben lächelte fein und Claire lächelte zurück und glaubte, noch nie im Leben so glücklich gewesen zu sein.
»Ich muss fahren«, sagte er ruhig. »Es sind noch einige Telefonate zu erledigen.«
»Danke, dass Sie mich mitgenommen haben«, sagte Claire und fragte sich, ob Tim spürte, wie die Luft um sie herum knisterte.
Dann fuhr Ben und sie und Tim gingen ins Wohnzimmer und sahen sich noch einen Film an. Aber nach einer Stunde wurde sie schlagartig müde und ging schlafen. Kurz vor dem Einschlafen dachte sie an Nina. Wenn sie doch wieder da wäre. Dann wäre Tim ebenfalls glücklich.
17
D er Wasserkocher pfiff. Sie hängte einen Teebeutel in die Kanne und goss das Wasser hinein. Seit sie in Irland war, trank sie immer öfter Tee, was ihrem Magen sehr gut bekam. Und sie kannte mittlerweile tausend verschiedene Teesorten.
Es regnete wieder einmal. Die Stalltür war offen. Wahrscheinlich war Tim wieder mit einem der Pferde beschäftigt. Dann fiel es ihr ein. Er wollte Cora und das Fohlen in der Halle laufen lassen. Er hatte gesagt, sie solle sich das ansehen, es sei einfach zu schön.
Aber es war so wohlig warm in der Küche, der Ofen brannte und sie saß mit hochgezogenen Beinen auf der Eckbank und kalkulierte die Preise für die Zimmer. Eigentlich wollte sie nicht hinaus. Aber Tim würde enttäuscht sein. Seufzend stand sie auf und knöpfte ihre Strickjacke zu. Tim freute sich, dass sie sich nun auch für Pferde interessierte. Er war sicher oft einsam gewesen, weil niemand aus der Familie an seiner Reitbegeisterung teilhatte. Aber da war Nina gewesen, sagte sie sich. Nina hatte alles mit ihm geteilt.
Die Türglocke ging. Wer mochte das so früh sein? Neugierig ging sie in den Flur und öffnete die Haustür.
Es war Nina. Ihr Gesicht glänzte vor Nässe, ebenso die Regenjacke. Auch die wenigen Haare, die unter der Kapuze hervorlugten, waren nass. Vom Rand der Kapuze lief ein kleines Rinnsal zu Boden und tropfte direkt auf ihre durchweichten Turnschuhe.
Claire starrte sie sprachlos an.
Tim stand in der Halle, eine lange Longierpeitsche in der Hand. Cora dampfte und scharrte mit einem Vorderbein.
»Du hättest sie sehen sollen«, rief er. »Sie raste im Kreis herum, als hätte sie monatelang gestanden.«
Er lächelte begeistert und sie legte sich die Worte zurecht. Sie wollte es ihm schonend beibringen. Aber dann hörte sie sich schon sagen: »Nina ist da.«
Tims Gesicht war ein Schauspiel der Emotionen. Aufmerksamkeit, Ungläubigkeit, vorsichtige Freude.
»Nina ist da?«, fragte er, warf die Longierpeitsche zu Boden und kam zu ihr.
»Ja, versorg Cora und komm dann in die Küche.«
Tim stürmte zehn Minuten später hinein und blieb einen Moment auf der Schwelle stehen. Nina saß vor dem Ofen auf einem Stuhl, eine Teetasse in der Hand.
»Nina«, seine Stimme klang rau. »Du bist hier?«
»Tim«, Nina war aufgestanden. Claire hatte ihr trockene Sachen zum Anziehen gegeben, die ihr etwas zu weit waren. Sie sah aus wie ein Kind.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie. Mehr brauchte es nicht. Tim kam auf sie zu und Nina flog in seine Arme und Claire rettete in letzter Sekunde die halb volle Teetasse, die Nina losgelassen hatte.
Sie wollte im ersten Moment den Raum verlassen, um die beiden nicht zu stören. Aber dann blieb sie doch mit dem Rücken an den Ofen gelehnt stehen, die Wärme genießend.
Am nächsten Morgen hörte Claire schon früh Ninas Schritte auf der Treppe. Die beiden hatten sich natürlich versöhnt, Nina würde bleiben und da weitermachen, wo sie zuvor aufgehört hatte. Sie war begeistert von ihren Plänen und fand die Idee, ein Hotel aufzuziehen, einfach grandios, wie sie sich ausdrückte.
Tim war überglücklich und auch Alex, der vor acht Uhr schon gekommen war, um dem Fohlen eine Vitaminspritze zu geben, freute sich über ihre Rückkehr. Sogar Piet, der wortkarge, klopfte Nina wie einem Pferd anerkennend auf den Rücken.
Claire war ganz kurz mit Alex alleine und er fragte: »Ändert Ninas Rückkehr etwas für Sie?«
»Nein, natürlich nicht«, winkte sie ab. »Nina ist für mich so etwas wie eine Schwester. Ich kenne sie seit ihrem fünften Lebensjahr.«
Sie bot Alex einen Tee an und überlegte, wie sie unbefangen auf die früheren Eigentümer des Hofes zu sprechen
Weitere Kostenlose Bücher