Das Isaac-Quartett
defekte Flügel gegeben. Er »erschafft« sich Coen, zerstört ihn und leidet unter den Wunden, die diese Zerstörung hinterlassen hat. Und warum fühlte sich Blue Eyes zu Isaac hingezogen? Suchte er einen Vater, der ihn nicht verlässt? Oder wusste er, dass alle Väter Zerstörer sind, die guten wie die bösen?
Was weiß ein Autor schon? Für mich bestehen die vier Bücher aus einem gewaltigen Durcheinander von Vätern und Söhnen. Mein eigener Vater war ein Fellhändler, der niemals sprach. Er knurrte einfache Sätze, die eher nach einem missmutigen Wolf klangen. Aber ich hatte Harvey, der mir das Wolfsknurren übersetzte. Egal in welche Schwierigkeiten mich die Bronx wieder gebracht hatte, er half mir raus. Er war für mich Vater und älterer Bruder und ein bisschen sogar Mutter. Obwohl er mich im Stich ließ, als ich zwölf war, und mich vor seiner neuen Freundin verprügelte. Er musste sich eben um seine Muskelshirts kümmern und hatte keine Zeit für einen dürren Jungen, der ihm hinterherlief.
Isaacs Wurm hatte wohl ziemlich lange in mir geschlummert. Er war in einem mehr als dreißig Jahre alten Riss zwischen mir und Harvey geboren worden. Vergiss das Morddezernat Brooklyn, es braucht schon einen Sherlock Holmes, um die Wurzeln einer Geschichte aufzuspüren. Ich war zu Harvey gegangen, um Material für einen einfachen Krimi zu sammeln, und am Ende hatte ich vier Bücher über ihn und mich und einen hartnäckigen Bandwurm geschrieben.
Schließlich hatte ich meinen König der Barbiere verworfen. Andorra war nicht der magische Ort, an dem sich Jungen und Könige gegenseitig heilen konnten. Ich hatte tausend Jahre Geschichte für Jude entworfen, eine Chronologie, die unglaubliche Details enthielt, aber sie war aus reiner Vermeidungsstrategie gesponnen und diente nur der Flucht. King Jude ist ein kaltes Buch. Mythologie ohne Wurm.
Vielleicht hatte ich mehr von Ross Macdonald übernommen, als ich mir selbst eingestanden hatte. Macdonald taumelt in The Galton Case in seine eigene Vergangenheit zurück, webt eine Erzählung um seine eigene Wunde, ein nagendes Gefühl der Unrechtmäßigkeit. Der Hochstapler, der vorgibt, der Sohn von Anthony Galton zu sein, trägt einen Teil von Macdonald in sich. Oder besser gesagt Kenneth Millar, da Ross Macdonald Millars Pseudonym war. »Ich war seit Jahren von einem imaginären Jungen besessen, der eine Art dunkle Seite meiner eigenen Jugend widerspiegelte. Mit sechzehn Jahren hatte er bereits in fünfzig Häusern gelebt und in jedem davon die Sünde der Armut begangen. Ich konnte nicht ohne Zorn und Schuldgefühl an ihn denken.« {3}
Wie jeder Erzähler ist Macdonald »ein Anmaßender, mit einem Abschluss aus dem Armenhaus, der versucht, sich einen Weg in den Palast zu lügen« {4} Ich bin auch einer dieser »Anmaßenden«, der hofft, mit Isaac Sidel und Manfred Coen in den Palast gelassen zu werden.
Aus dem Amerikanischen von Malte Belz
BLUE EYES
TEIL EINS
1
»Shotgun Coen.«
Der diensthabende Lieutenant versetzte seinem Untergebenen einen Rippenstoß und blinzelte der Hilfspolizistin zu, einer Portorriqueña, die zwischen den Dienstzeiten die Telefonzentrale bediente und eine Schwäche für Polizeibeamte hatte; sein Untergebener machte sich Hoffnungen, diese Portorriqueña weich zu kriegen, indem er sich die Haare in seiner Nase auszupfte und es mit französischem Parfüm probierte, doch er hätte niemandem erzählen können, welche Farbe ihre Unterhose hatte oder sich auch nur über einen Schönheitsfleck oberhalb ihrer Knie äußern können. Isobel bevorzugte die Männer von der Mordkommission und vom Überfallkommando.
Die fünf uniformierten Streifenpolizisten, die im Mannschaftsraum standen, blickten in die gleiche Richtung. Sie missgönnten den Polypen im ersten Stock die Privilegien: golden glänzende Dienstabzeichen, ruhmreiche Aufgaben und die Chancen bei Isobel. Über die Kriegsrüstung dieser Kampftrupps machten sie sich lustig: Schießeisen, Zigarren und Fiberglaswesten. DeFalco, Rosenheim und Brown, drittklassige Beamte, die sich etwas auf ihre schlecht gebundenen Krawatten zugutehielten, konnten sie dulden; diese Art von Aufschneiderei waren sie gewohnt. Coen war ihnen zuwider. Er verdiente mehr als ihr eigener Vorgesetzter und war außerdem noch zum Kommissar ernannt worden. Jetzt saß er auf seinem Bürosessel oder gab Botschaftern und Filmstars im Auftrag des Sonderdezernats das Geleit. Für sie stand fest, dass er für den First Deputy
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