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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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nicht für die Summen in den Büchern. Am liebsten schaute er sich die verschiedenen Namen an. Simon Dedalus. Gabriel Conroy. Leopold Bloom. Gertrude MacDowell. Anna Livia Plurabelle. Nosey Flynn …
    Ein Schließer klopfte an die Stangen von Johns Zelle. Der Nasenfilter seiner Gasmaske stand auf, und er konnte John anbrüllen. »Bist du taub?« John schob die Bücher unters Knie. Dann erhob er sich aus seiner Decke und wandte sich an die Schließer.
    »Du hast Besuch, Mr. John.«
    Tiger John zuckte mit den Achseln. Es war schon dunkel. Um diese Uhrzeit gab es auf Riker’s keinen Besuch.
    »Na los. Komm schon raus aus deiner beschissenen Ecke.«
    John schob sich die Sparbücher in die Hosentasche und stieg von seiner Pritsche. Er folgte dem Schließer auf die Galerie und quer durch Block 5. Ein paar Gefangene blinzelten ihm zu und griffen freundlich nach seinem Hemd. »Freiheit, Mann … du bist bald wieder draußen.«
    John wurde ganz aufgeregt. Der Puls pochte ihm im Nacken. Sein Mund war trocken. Das musste wichtiger Besuch sein. Sie schlossen doch Riker’s Island nicht für irgendeinen hundsgewöhnlichen Blödmann auf. Der Bürgermeister wollte zu ihm. Der Mann. Der ehrenwerte Sammy Dunne. Wer sonst? Ah, sie würden diesen Burschen schon zeigen, wozu ein Bürgermeister fähig war. Noch vor Mitternacht würde er mit Sam wieder in der Schwitzbude hocken.
    Er trat ins Besucherzimmer und sah dort nichts als graue Wände. Man schob ihn in einen verschmierten Glaskasten. Er besah sich das Gespenst auf der anderen Seite des Plexiglases. Es war nur Isaac der Mutige.
    John runzelte die Stirn. »Himmel, ich hatte gehofft, Sam kommt.«
    »Vergiss es«, sagte Isaac. »Sammy konnte noch nicht mal zur Kathedrale kommen. Er ist genauso Mangens Gefangener wie du … nur dass Sam draußen schlafen darf. Hast du einen Anwalt, John?«
    »Den besten. Er brüllt mich zweimal am Tag übers Telefon an.«
    Isaac bemerkte Tiger Johns ausgebeulte Hosentasche. Sparbücher. Sie konnten für John überhaupt nichts mehr wert sein. Mangen hatte die Konten bestimmt eingefroren. Er würde sie als Beweise bei Johns Prozess brauchen, wenn denn je einer stattfinden würde. Wer wusste schon, was sich der große Gott Dennis ausdachte? Er konnte in sechs Monaten die Anklage fallenlassen und John mit einem Stapel nutzloser Sparbücher aus dem Knast entlassen. Hatte er denn nicht die Polizei gedemütigt? Er war einfach ins Polizeipräsidium spaziert und hatte den PC verhaftet. Mangen zwang die Demokraten auszumisten. Damit konnte er groß angeben, wenn er sich nächstes Jahr für die Republikaner zu den Gouverneurswahlen aufstellen ließ. Aber Dennis hatte noch andere Möglichkeiten, John in einen Geist zu verwandeln. Er konnte den Prozess hinausschieben und Tiger John wie den Grafen von Monte Christo schmoren lassen, bis ihm die Koteletten an die Nasenspitze reichten und er der Unsichtbare von Riker’s Island wurde. Wer wusste denn schon, wie viele arme, ausgedörrte Teufel über die Galerien dieses Zuchthauses schlurften?
    »Kann ich dir was besorgen, John?«
    Isaacs Lippen schienen durch das Plexiglas anzuschwellen. »Nein«, erwiderte John. Der Anblick war lächerlich. Albern. Der alte und der neue Commish mit einer Glaswand dazwischen. »Du hättest besser auf mich aufpassen müssen, Isaac. Du warst mein First Dep … und jetzt verschwinde. Du bringst nur Unglück.«
    John verließ den Glaswürfel. Die Schließer würden nicht vergessen, dass Isaac der Mutige ihn aus Block 5 hatte holen lassen, und dafür würden sie ihn quälen. Er würde nicht mehr in Ruhe in seinen Sparbüchern blättern können.
    Er hörte ein komisches weiches Geräusch vom Dach über Block 5. Das konnte bestenfalls ein leichter Schauer sein. Die Hausbande wäre sonst schon ausgeflippt, würde fluchen, die Böden mit Laken aufwischen, die sie aus den Zellen klauten, würde das Loch beäugen, damit sie Mülleimer unter die größten Löcher stellen konnte. Weiße Flocken segelten vom Dach. Man konnte sie mit einem Finger fangen. Heilige Mutter Gottes, der erste Schnee des Jahres. John führte die weißen Flocken ans Gesicht. Novemberschnee war göttlicher Schnee. Die Schneeflocken hatten Heilkräfte. Simon Dedalus. Leopold Bloom. Was brauchte ein Mann denn mehr? John klopfte auf die kleinen Bücher in seiner Tasche. Dann zwinkerte er dem Schließer hinter sich zu und tänzelte zurück in seine Zelle.

EDITORISCHE NOTIZ
    Die Isaac-Sidel-Saga begann 1974 mit Blue Eyes,

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