Das Ist Mein Blut
Telefon weglegte, obwohl er sonst nicht fluchte. Er riss ein Stück von einem Zettel ab, notierte Namen und Nummer der Surfschule darauf, fügte dann noch »Mitarbeiter überprüfen« hinzu, weil man solche Dinge eben gründlich manchen musste, auch wenn sie noch so enttäuschend waren, und vergaß das nutzlose Gespräch, als Friedolin anrief. »Wo bist du und wann können wir wieder mit euch rechnen? Wir sollten Besprechung halten, wir sind an dem Punkt, wo wir unsere Infos zusammentragen müssen, wenn wir uns nicht verzetteln wollen. Ist Eva bei dir?«
»Nee, kannst du sie anrufen? Ich fahr sofort zurück, mein Vorhaben hier war eh komplette Zeitverschwendung.«
»Wieso, war der See so kalt?«, fragte Friedolin maliziös. Rainer brummte eine missgelaunte Antwort, packte seine Zettel zusammen und war schon an der Tür des Cafés, als die Stimme eines Gastes ihn zurückhielt: »Hald amal, so gehd des fei ned, ohne zahln.«
Rainer wurde rot, eilte zur Theke zurück, entschuldigte sich bei der Kellnerin, die ihn gutmütig aufzog, und verließ kopfschüttelnd über sich selbst das Lokal. Kronauers Persönlichkeit musste auf ihn abfärben, wenn er anfing, seine Zeche nicht mehr zu bezahlen. Als er einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer seines parkscheibenlos abgestellten Autos geklemmt fand, fragte er sich, ob er sich langsam Gedanken machen sollte.
25
Zur gleichen Zeit saßen Eva und Sandra Schneider in Heinrich Weihers Wohnung, die nach Alter und Staub roch, und erfuhren die Geschichte des jüdischen Goldschmieds Martin Blumenthal, der im Jahr 1936 seiner Heimatstadt Ellingen und Deutschland den Rücken gekehrt hatte, einer der letzten, denen die Ausreise noch gelang. Der Arzt Friedrich Weiher, Heinrichs Vater, war Blumenthals engster Freund gewesen, und kurz vor seiner Abreise hatte der Goldschmied ihm einen Koffer gebracht, in dem er eine ganze Reihe seiner schönsten Schmuckstücke aufbewahrt hatte. »Er konnte ihn nicht mitnehmen, aber er wollte nicht, dass alles den Nazis in die Hände fiel. Da war der Aquamarinring, der ihm sehr teuer war, ein paar andere Arbeiten und der Kelch – eine Auftragsarbeit ursprünglich, aber dann wollten sie keinen Abendmahlskelch mehr von einem Juden.« Heinrich Weihers Blick ging zum Fenster hinaus; es war unmöglich zu sagen, was er dachte. Er selbst war damals ein Junge von acht Jahren gewesen, und wo heute ein Teil des römischen Castrums Sablonetum rekonstruiert stand, war damals freies Feld gewesen, auf dem sie als Kinder gespielt hatten. Blumenthal hatte Friedrich Weiher gebeten, den Koffer mit dem Schmuck aufzubewahren. »Er glaubte nicht wirklich, dass er wiederkommen würde, aber es war für ihn wichtig zu sagen: Bewahre ihn auf, bis ich wiederkomme oder dir Nachricht gebe.« Leicht zuckte es um die Mundwinkel des alten Mannes. »Dann sagte er meinem Vater noch, wenn er sterben und wir von seinem Tod erfahren sollten, dann sollte er die Sachen behalten, als Dank für seine Freundschaft.« Und Friedrich Weiher hatte den Koffer sicher verwahrt und dann über den Ereignissen der darauf folgenden Jahre beinahe vergessen. Als Vater und Sohn Weiher, mittlerweile ohne Frau und Mutter, nach dem Krieg wieder in ihr altes Haus in Ellingen zogen, waren die Sachen noch da, aber von Martin Blumenthal hörten sie nichts. Friedrich vergrub sich mit seinem Kummer in seine Arbeit im Krankenhaus. Und Heinrich, der erwachsen war, aber weiter bei seinem Vater lebte, der knapp gehalten wurde und dem sein Studium keinen Spaß machte, fand irgendwann den fast vergessenen Koffer des Goldschmieds.
»Und dann haben Sie die Sachen verkauft«, unterbrach Eva, die endlich zumindest etwas verstand. Heinrich Weiher runzelte düster die Stirn, nickte dann aber. »Erst nur ein einziges Stück«, erklärte er. »Weil ich dringend Geld brauchte – oder wollte. Aber es war so einfach – die Hahns haben schon ewig mit Antiquitäten gehandelt, und der alte Hahn hat geglaubt, das wäre unser alter Familienschmuck, den ich ihm anbot. Ich hab damals nicht viel darüber nachgedacht – für mich haben die Sachen sowieso meinem Vater gehört und der hat sich überhaupt nicht mehr für den Koffer interessiert. Aber Elisabeth« – aufgewühlt stand Weiher auf und ging zum Fenster. »Sie hat so getan, als ob ich das Schlimmste gemacht hätte, was man sich überhaupt vorstellen kann. Sie ist Historikerin«, fügte er erklärend hinzu. »Für sie war das unvorstellbar. Den Besitz eines Juden zu verkaufen
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