Das Jahr auf dem Lande
sicher oft wiederkommen, weil er wisse, daß man ihn hier stets freundlich aufnehmen werde. »Man kann sein ganzes Leben in der Stadt verbringen, ohne auch nur ein einziges Mal eine so spontane Zuwendung zu erleben, wie sie mir hier zuteil wurde. Die Städter sagen, es gäbe keine Hinterwäldler mehr, aber ich habe sie kennengelernt, im besten Sinne des Wortes. Ich habe eine kleine Gemeinde gefunden, fernab vom großen Weltgetriebe, wo die Leute ein viel glücklicheres Leben führen als die Städter, die oft so fragwürdigen Werten nachjagen.«
Adrians Rede wurde mit stürmischem Applaus belohnt, und danach wurde eine üppige Mahlzeit aufgetischt. Eine Stunde später konnte Adrian seine rechte Hand kaum mehr bewegen, nachdem er zahllose Bücher signiert hatte. Doch das tat seiner guten Laune keinen Abbruch. Er ging von Tisch zu Tisch, unterhielt sich mit den Leuten, hatte ein offenes Ohr für ihre Probleme, tauschte Erinnerungen mit ihnen aus. Das Ergebnis seiner Bemühungen war die Erfüllung seiner größten Hoffnung: Die kleinen Cliquen, die vor seiner Ankunft so spürbar existiert hatten, begannen miteinander zu verschmelzen. Die Leute aus Rangimarie unterhielten sich mit den Farmern, und das ohne jede Herablassung.
Während des ganzen Abends wurde Adrian unauffällig, aber wirksam von Christine unterstützt, und die Leute, die sie nicht so kennen- und liebengelernt hatten wie ihren Mann, meinten, Mrs. Medway sei ganz reizend und »sogar für einen so großartigen Kerl gut genug«.
Jo konnte die Abschiedsfeier nicht genießen. Sie saß den ganzen Abend mit Beth, Craig und Lester beisammen und bemühte sich, fröhlich auszusehen. Sie hatte in den letzten Nächten kaum geschlafen, und als sie sich für die Party zurechtgemacht hatte, war sie entsetzt gewesen über das bleiche Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte. Mit einer dicken Make-up-Schicht war sie der Blässe zu Leibe gerückt, und nun flüsterten die Frauen einander zu, Miß Medway pflege wohl schon wieder ihren städtischen Lebensstil, sonst hätte sie sich nicht so angemalt. Die andere Jo hatte ihnen, auch Lester, besser gefallen. Aber das Herz tat ihm weh, als er erkannte, warum sie Zuflucht zu all der Schminke genommen hatte. Noch war es nicht zu spät. Sie mußte doch ihren Gefühlen nachgeben, mußte doch erkennen, daß sie ihn nicht verlassen konnte, um nie mehr zurückzukehren, solange er in Rangimarie lebte.
Aber Jo behielt bis zum Ende des Abends ihre falsche, aufgesetzte Fröhlichkeit bei, ging von Tisch zu Tisch, um Hände zu schütteln und höfliche Floskeln von sich zu geben. Als sie dann an seinen Tisch zurückkehrte, war sie wieder die blasierte Städterin, die ihm bei der ersten Begegnung so mißfallen hatte. Christine beobachtete sie traurig, aber unauffällig. Sie kannte diese übertrieben fröhliche Jo nur zu gut. Mit dieser Jo würde sie nun eine Weile leben müssen, denn ihr Gefühl sagte ihr, daß ihre Tochter nicht so bald einen Mann finden würde, der Lester ersetzen konnte. Mit einem unwillkürlichen Seufzer erinnerte sie sich, daß sie Mrs. Hill noch fragen wollte, wie es dem Baby ging. Und dann mußte sie mit Mavis Belton über die unmöglichen Forderungen lachen, die ein Tourist im Laden gestellt hatte. Das Leben ging weiter, und sie durfte Jo niemals verraten, was sie in den vergangenen Wochen gehofft und gefürchtet hatte. Es schickte sich nicht für moderne Eltern, Gefühl zu zeigen. Sie mußte sich damit zufriedengeben, am Rand zu stehen und zuzuschauen — und das manchmal mit schwerem Herzen.
13
J o traf die Vorbereitungen für die Unterbringung ihres »lebenden Inventars« mit einer geradezu unnatürlichen Ruhe. Sie hatte eine Freundin, die mit einem Farmer verheiratet war und in der Nähe von Auckland lebte, und sie rief Nora an, um zu fragen, ob sie Rajah zu ihr bringen dürfe. Man entsprach ihrer Bitte, wenn auch widerstrebend, denn kein Farmer mit kleinen Weideflächen nahm gern ein fremdes Pferd auf, auch wenn es einer guten Freundin seiner Frau gehörte. Jo wollte auf Rajah nach Avesville reiten, und von dort sollte das Pferd direkt nach Auckland transportiert werden. Wenn sie Rajah im Depot abgeliefert hätte, würde sie im Hotel von Avesville übernachten und am nächsten Morgen die Reise mit ihrer Familie und Sheikh fortsetzen.
Jo redete sich ein, daß Sheikh auch in der Stadt gute Dienste als Wachhund leisten würde. »Natürlich wird er nicht viel Auslauf haben, aber ich werde ihn
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