Das Jahr der Flut
geschlagen haben.
Mögen sie sich in ihren materiellen Visionen als genauso blind erweisen wie in den spirituellen! Denn auch wenn die Tage vorbei sind, da wir auf den Plebslandstraßen die Fleischesser zur Umkehr ermahnten, sind uns Tiercamouflagelektionen durchaus noch präsent. Getarnt, um mit dem Hintergrund zu verschmelzen, gedeihen wir vor der Nase unserer Feinde. Wir haben unsere einfachen Gewänder abgelegt und uns in Kleidung aus der Einkaufspassage gehüllt. Das Polohemd mit dem bestickten Monogramm, das limettengrüne ärmellose Top, das gestreifte Strickensemble in Pastelltönen, das Nuala mutigerweise zur Schau trägt − dergestalt ist unsere Tarnung.
Einige von euch haben sich entschieden, den Verdacht von sich abzuwenden, indem sie tapfer das Fleisch unserer Mitgeschöpfe essen; aber übernehmt euch nicht, liebe Freunde. In einen GeheimBurger zu beißen, der euch dann im Halse stecken bleibt, wird nur unliebsame und forschende Blicke auf euch lenken. Solltet ihr eure Grenzen nicht genau kennen, beschränkt euch auf ein SoLecker-Eis. Derlei Quasi-Lebensmittel lassen sich auch ohne unzumutbare Anstrengung genießen.
Lasst uns der Fernside-Trüffelzelle danken, die uns dieses Asyl auf der Traumstraße zur Verfügung stellte. Das Schild an unserer Tür lautet Grüne Gene und gibt sich als Firma für Botanikspleiß-Design aus. Das zweite Schild − auf dem »Wegen Renovierung geschlossen« steht − ist unser Schutzmantel. Sollte uns jemand fragen, dann sagen wir, dass wir Ärger mit dem Bauherrn haben. Das ist immer eine plausible Erklärung.
*
Heute ist Tag der Bestäubung, der Tag, an dem wir uns an die Beiträge zum Erhalt des Waldes der Heiligen Suryamani Bhagat von Indien, des Heiligen Stephen King vom Pureorawald in Neuseeland und der Heiligen Odigha von Nigeria erinnern. Dieses Fest ist den Geheimnissen der Befruchtung gewidmet, vor allem der Befruchtung der wundersamen Bäume, der Bedecktsamer, mit besonderer Betonung auf Steinfrüchten und Kernobst.
Legenden über Früchte wie diese sind durch die alten Griechen auf uns gekommen − die goldenen Äpfel der Hesperiden, der gleichsam goldene Zankapfel. Manche sagen, der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse war ein Feigenbaum, andere glauben an die Dattel, wieder andere an den Granatapfel. Es wäre einleuchtend, wenn dieses Nahrungsmittel wahrlich böse gewesen wäre − ein Fleischobjekt wie ein Beefsteak. Warum aber eine Frucht? Weil unsere Vorfahren ohne Zweifel Fruchtesser waren und nur eine Frucht sie gelockt haben würde. Die Frucht bleibt ein zutiefst bedeutsames Symbol für uns, verkörpert sie doch eine gute Ernte, üppige Vollendung und Neuanfang, denn in jeder Frucht steckt ein Same − potenzielles neues Leben. Die Frucht reift, fällt und wird wieder zur Erde; doch der Same schlägt Wurzeln, wächst und bringt wiederum Leben hervor. Wie es im Wort Gottes heißt: »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.« Lasst uns beten, dass unsere Früchte die Früchte des Guten sind und nicht die Früchte des Bösen.
Seid jedoch gewarnt: Wir ehren die Bestäuber unter den Insekten und vor allem die Bienen, erfahren aber soeben, dass zusätzlich zu der virusresistenten Züchtung, die nach dem letzten Honigbienensterben eingeführt wurde, der Konzern nun eine hybride Biene entwickelt hat. Dies ist keine transgene Biene, meine Freunde, nein: Es ist eine weitaus größere Abscheulichkeit! Noch in Larvenform nimmt man die Bienen und setzt ihnen ein mikromechanisches System ein. Die Mechanik wächst mit dem Gewebe zusammen, so dass die schlüpfende »Imago« ein Cyborgspion in Bienengestalt ist, der von CorpSeCorps-Mitarbeitern gesteuert wird, um Botschaften zu senden und zu denunzieren.
Die daraus erwachsenden ethischen Fragen geben Anlass zur Sorge: Müssen wir auf Insektizide zurückgreifen? Ist eine solche mechanisierte Bienensklavin tatsächlich ein
lebendes Wesen?
Wenn ja, ist sie ein wahres Geschöpf Gottes oder etwas ganz und gar anderes? Wir müssen über die größeren Implikationen dessen nachdenken, meine Freunde, und um Führung beten. Lasst uns singen.
PFIRSICH ODER PFLAUME
Der Pfirsich-und der Pflaumenbaum
Sehen herrlich in der Blüte aus!
Ihr Nektar ist der Lieblingssaft
Von Vogel, Biene, Fledermaus.
Und dann fängt die Bestäubung an:
Für jede Nuss, für jede Frucht
Hat je ein gülden Samenkorn
Sich sich seinen Platz gesucht.
So schwillt die Frucht an ihrem Stamm
Und reift, bis alle Zweige
Weitere Kostenlose Bücher