Das Jahr der Flut
ächzen
Unter süßer Kost, nach der
die Vögel, Tiere, Menschen lechzen.
Und sieh, ein neuer kleiner Baum
Verbirgt sich schon in jeder Nuss,
Der seine Pracht entfalten wird −
Nur eingepflanzet werden muss!
Des Pfirsichs und der Pflaume Kern −
Wirf niemals unbedacht hinaus,
Denn dieser Kern erstrahlt vor Leben,
Dieser Kern ist Gottes Haus.
Aus dem
Gesangbuch der Gottesgärtner
49.
Ren. Jahr Fünfundzwanzig
Adam Eins sagte damals immer: Wenn du die Wellen nicht aufhalten kannst, geh segeln. Oder auch: Lässt sich’s nicht reparieren, dann nimm es zum Verzieren. Oder auch: Ohne Licht keine Chance, ohne Dunkel keinen Tanz. Das heißt, selbst schlechte Sachen konnten nützlich sein, weil sie eine Herausforderung waren und man nie genau wissen konnte, was sie vielleicht Gutes bewirken würden. Nicht dass die Gärtner jemals getanzt hätten.
Also beschloss ich, eine Meditation abzuhalten; zumindest war es eine Möglichkeit, damit umzugehen, dass es in der Klebezone nichts zu tun gab. Wenn nichts das Problem ist, arbeite mit Nichts, sagte Philo der Smog immer. Blende das Schnattern in deinem Kopf aus. Öffne dein inneres Auge, dein inneres Ohr. Sieh, was du sehen kannst. Höre, was du hören kannst. Was ich damals bei den Gärtnern sah, waren die Zöpfe des Mädchens vor mir, und was ich hörte, war Philos Schnarchen, denn wenn er die Meditation anleitete, schlief er jedes Mal ein.
Viel erfolgreicher war ich auch jetzt nicht. Ich hörte das Wummern der Bässe aus der Schlangengrube und das Summen des Minikühlschranks, ich sah die Lichter der Straße als verschwommenes Muster durch die Glasbausteine meines Fensters, aber nichts davon war spirituell erhellend. Also hörte ich auf zu meditieren und schaltete die Nachrichten ein.
Anscheinend machte mal wieder eine kleinere Epidemie die Runde, aber nichts Beunruhigendes. Virus-und Bakterienmutationen waren gang und gäbe, und ich wusste ja, dass die Konzerne immer ein Gegenmittel erfinden konnten, und außerdem, egal was es diesmal wieder für eine Grippe war, ich hatte sie jedenfalls nicht, denn ich war ja in Isolation, geschützt durch die Doppelvirusbarriere. Einen sichereren Ort hätte es nicht geben können.
Ich schaltete wieder in die Schlangengrube. Eine Schlägerei war ausgebrochen. Die Painballer mussten sie wohl angezettelt haben − die drei Männer, die zuerst reingekommen waren, und dieser andere Mann.
Ich sah, wie die CorpSeCorps-Aufpasser eingriffen. Einen der Painballer brachten sie mit ihren Elektroschockern zu Boden. Die Türsteher prügelten sich jetzt auch noch − einer davon taumelte rückwärts und hielt sich ein Auge, ein anderer knallte gegen die Bar. Normalerweise dauerte es nie so lange, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Savona und Feuerblüte waren beide noch auf dem Trapez und versuchten einfach weiterzumachen, aber die Stangenmädchen rannten von der Bühne. Dann rannten sie wieder rauf: Anscheinend waren die Ausgänge blockiert. Oh nein, dachte ich. Dann flog eine Flasche in die Kamera und schlug sie kaputt.
Ich wechselte zu einer anderen Kamera, aber mir zitterten die Hände, und ich hatte den Zahlencode vergessen, und als ich es endlich geschafft hatte, sie wieder anzuschalten und richtig einzustellen, war die Schlangengrube schon sehr viel leerer. Es brannte noch immer Licht, und die Musik lief, aber der Raum war verwüstet. Anscheinend waren die Kunden alle rausgelaufen. Savona lag auf der Bar: Ich erkannte sie an ihrem Glitzerkostüm, obwohl es zur Hälfte runtergerissen war. Ihr Kopf war in einem seltsamen Winkel abgebogen, und ihr ganzes Gesicht war voll Blut. Feuerblüte hing vom Trapez, sie hatte eines der Seile um den Hals, und zwischen ihren Schenkeln blitzte eine Flasche − jemand musste sie ihr zwischen die Beine geschoben haben. Ihre Rüschen und Spitzen hingen in Fetzen. Sie sah aus wie ein verwelkter Blumenstrauß.
Wo war Mordis?
Ein dunkles herumfuchtelndes Etwas taumelte über den Bildschirm: ein Schattentanz, ein bizarres Ballett. Dann machte es wumm!, eine Tür knallte gegen die Wand, und dann hörte man eine Art Tröten. Dann Sirenen in der Ferne. Schritte, die wegrannten.
Dann hörte man Geschrei im Flur vor der Klebezone, und der Videobildschirm vor meiner Tür wurde hell, und da war Mordis, ganz nah, er starrte mit einem Auge zu mir rein. Das andere Auge war zu. Sein Gesicht sah zerfetzt aus. »Dein Name«, flüsterte er.
Dann packte ihn ein Arm am Hals, zerrte seinen Kopf
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