Das Jahr der Flut
beschriebenen Seiten zusammen. Zum Glück hatte sie Streichhölzer; sie hatte sie in einem Behälter mit der Aufschrift »Gesichtsmaske Zitronenbaiser« für ihren Ararat gehortet.
*
Nach Zebs Besuch fühlte sie sich weniger abgeschottet von der Welt. In unregelmäßigen Abständen loggte sie sich in die UrzeitExitus-Seite ein und folgte dem Pfad bis in Großmeister MaddAddams Chatroom. Codenamen und Gespräche liefen über den Bildschirm.
Schwarznashorn an Geisterbär: Neue unterwegs. Efenbeinspecht an Swift-Fuchs: Fürchte den Samenkäfer nicht. Weiße Segge und Lotis Blue: Maus-Spleiß vollendet. Crake an MaddAddam: Schmelzkäseautobahn, der war gut!
Sie hatte keine Ahnung, was diese Mitteilungen zu bedeuten hatten, aber immerhin fühlte sie sich integriert.
Manchmal kamen auch Mitteilungen, die nach vertraulichen CorpSeCorps-Informationen aussahen. In vielen davon ging es um den Ausbruch seltener Krankheiten oder seltsamen Befall − den Stachelbiber-Spleiß, der sich über Keilriemen hermachte, den Samenkäfer, der Happicuppa-Plantagen dezimierte, oder eben die asphaltfressende Mikrobe, die den Straßenbelag auf den Autobahnen zersetzte.
Dann wurde durch eine Reihe von tödlichen Bombenangriffen die Gourmetkette Rarity ausgeschaltet. Sie sah die regulären Nachrichten, wo man die Öko-Terroristen im Allgemeinen für die Tat verantwortlich machte; bei MaddAddam las sie jedoch eine detaillierte Analyse. Die Bombardierungen gingen auf das Konto der Wolf-Jesajaisten, hieß es dort, weil Rarity eine neue Speise auf seine Karte gesetzt hatte − Löwamm, das heilige Tier der Wolf-Jesajaisten. MaddAddam hatte ein PS hinzugefügt:
Warnung an alle Gottesgärtner: Das werden sie euch anhängen wollen. Haltet den Ball flach.
Kurz darauf tauchte Muffy unerwartet im Spa auf. Sie sah elegant aus wie immer; ihr Verhalten ließ nichts durchblicken. »Lass uns ein Stück über den Rasen gehen«, sagte sie. Als sie draußen im Freien und abseits der versteckten Mikrofone waren, flüsterte sie: »Ich bin nicht zur Kosmetik hier. Ich wollte dir nur mitteilen, dass wir weggehen, ich kann dir aber nicht sagen, wohin. Keine Sorge. Es ist nur eine interne Sache.«
»Ist denn alles in Ordnung mit dir?«, fragte Toby.
»Das wird sich noch herausstellen«, sagte Muffy. »Viel Glück, liebe Toby. Liebe Tobiatha. Tauch mich in Licht.«
Eine Woche später wurde gemeldet, dass sie und ihr Mann bei einem Luftschiffunfall ums Leben gekommen seien. Das CorpSeCorps war geschickt darin, spektakuläre Unfälle für seine Hauptverdächtigen zu inszenieren, hatte Zeb gesagt.
Noch monatelang machte Toby einen großen Bogen um MaddAddams Chatroom. Sie wartete auf das Klopfen, das Klirren von Glas, das Zipzip eines Spraygewehrs. Aber nichts geschah. Als sie endlich den Mut aufbrachte, die MaddAddam-Seite aufzurufen, wartete eine Mitteilung auf sie.
An Atlantisralle von Geisterbär: Garten ist zerstört. Adams und Evas dunkel. Augen offen halten und abwarten.
TAG DER BESTÄUBUNG
Jahr Einundzwanzig
Von den Bäu
men und den Früchten der Saison
Gesprochen von Adam Eins
Liebe Freunde und Mitsäugetiere:
Heute ist ein Festtag, nur leider ohne Festmahl. Unsere Flucht war überstürzt: Fast wäre es um uns geschehen gewesen. Nun haben unsere Feinde, ihrem Naturell entsprechend, unseren Dachgarten verwüstet. Gewiss aber werden wir eines Tages auf den Felsen Eden zurückkehren und jenem seligen Ort zu seiner einstigen Pracht zurückverhelfen. Das CorpSeCorps hat unseren Garten zerstört, nicht aber unseren Geist. Es wird der Tag kommen, da werden wir wieder pflanzen.
Warum hat das CorpSeCorps zugeschlagen? Nun, wir wurden zu einflussreich für seinen Geschmack. Viele Dachgärten blühten wie die stolze Rose; viele Herzen und Köpfe waren von dem Gedanken einer Erde beseelt, die in natürlichem Gleichgewicht ist. Doch in jedem Erfolg liegt der Same des Ruins, denn die Machthaber konnten uns nicht länger als wirkungslose Fanatiker abtun: Sie fürchteten uns als Propheten einer kommenden Zeit. Kurz, wir stellten für sie eine finanzielle Bedrohung dar.
Hinzu kommt, dass sie uns mit den Mitgliedern jener abspalterischen und ketzerischen Gruppe in Verbindung brachten, die sich MaddAddam nennt. Die Bombenattentate der letzten Woche auf die Restaurantkette Rarity − die allein auf das Konto der Wolf-Jesajaisten gehen − war ihnen Vorwand genug, um in aller Schärfe gegen alle vorzugehen, die sich auf die Seite der gottgeschaffenen Erde
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