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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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goss, fiel sein Blick auf etwas Schimmerndes am Boden. Er bückte sich und tupfte mit den Fingern eine winzige Glasscherbe auf. Er besah sie sich nachdenklich, bevor er sie mit einer Serviette vom Finger nahm. Dann öffnete er den Küchenschrank. Die Gläser standen in Reih und Glied. Er wollte den Schrank gerade wieder schließen, da fiel ihm etwas ein. Er rückte die ersten Gläser zur Seite und entdeckte, dass in der letzten Reihe ein Glas fehlte. Stirnrunzelnd zählte er die Gläser nach. Statt zwölf waren es elf. Sein Blick fiel auf den Boden. Doch da war keine Scherbe mehr. Er öffnete den Mülleimer unter der Spüle und schob das bisschen Müll zur Seite, das sie bis jetzt verursacht hatten– ganz vorsichtig, damit er sich nicht schnitt. Doch er fand nicht, was er suchte.
    Er stellte die Gläser wieder in die Reihe und schloss den Schrank. Nachdenklich nahm er die Teebeutel aus der Kanne.
    »Tee, mein Liebes. Soll ich dir vielleicht ein Sandwich dazu machen?«
    Laura strahlte, als sie ihm den Kopf zuwandte.
    »Gurkensandwich? Dann komm ich mir wie eine englische Prinzessin vor.«
    »Wenn das so ist, gibt ’ s kein Sandwich.«
    Er lächelte, als er den Tee einschenkte.
    »Englische Prinzessinnen sind in den wenigsten Fällen glücklich.«
    Wenig später loderte im Kamin ein Feuer. Laura knabberte an einem perfekten Gurkensandwich, Jan hatte sich ein Glas Rotwein eingeschenkt, und der Hund lag zusammengerollt nah am Kamin und schien zu schlafen. Jan hatte ihr erzählt, dass er mit dem Schreiner einig geworden sei. Der würde in den nächsten Tagen vorbeikommen, um die Wand auszumessen, an die das Regal sollte. Und falls Laura sich bis dahin entschieden hatte, welches Zimmer ihres sein sollte, könnte sie mit dem Schreiner besprechen, was er auch ihr an Regalen oder Möbeln bauen sollte.
    »Ich muss dir was gestehen«, sagte sie plötzlich.
    Jan sah sie fragend an.
    »Du willst hier alles rauswerfen und komplett neu einrichten?«
    Sie lachte und rückte näher an ihn heran.
    »Es ist mir etwas passiert. Ich habe eins der Wassergläser fallen lassen.«
    Angespannt wartete sie auf seine Reaktion. Würde er sich wirklich so aufregen, wie Elke ihr prophezeit hatte?
    »Das ist in der Tat eine echte Katastrophe.«
    Jan lachte auf, als er Laura an sich zog und seinen Arm um sie legte.
    »Scherben bringen Glück, hast du das noch nie gehört? Ich wäre echt beunruhigt, wenn es am Tag deines Einzugs hier keine Scherben gegeben hätte.«
    »Du bist nicht sauer?«
    »Wegen eines Glases? Was denkst du eigentlich von mir?«
    Dass du ein wunderbarer Mann bist. Und ich vollkommen bescheuert bin.
    » Eigentlich ist das Glas ja Elke runtergefallen. Sie hat sich fürchterlich aufgeregt. Als würde sie Angst vor deiner Reaktion haben. Kann es sein, dass sie ein Problem hat?«
    Täuschte sie sich, oder war er plötzlich angespannt? Wieso zog er plötzlich den Arm von ihr weg?
    Jan stand auf und legte ein Holzscheit nach. Einen Moment lang schien es, als würde das Feuer ausgehen. Im Zimmer wurde es merklich dunkler.
    »Jan?«
    Die Flammen schlugen wieder höher. Das Spiel von Schatten und Licht auf seinem Gesicht machte es ihr schwer zu erkennen, wie er reagierte. Dann vernahm sie sein Lachen.
    »Elke war schon immer ziemlich ungeschickt. Ich kann mich nicht erinnern, wie viele Teller und Gläser sie in diesem Haus schon zerbrochen hat. Vermutlich ist es ihr nur peinlich gewesen, dass du ihre Tollpatschigkeit gleich an deinem ersten Tag bemerkt hast.«
    Was hatte er erwartet? Dass es keinen Kontakt zwischen Elke und Laura geben würde? Dann hätte er nicht hierher zurückkommen dürfen. Sein Blick fiel auf die Lilien, deren Duft auf einmal viel zu süß und schwer war. Sie gehörte nun mal zu seinem Leben. Und irgendwie hatte er die ganzen Jahre, die er weg gewesen war, ein schlechtes Gewissen gehabt, weil er sich nicht um sie gekümmert hatte.
    »War sie mal verliebt in dich? Du kannst es mir ruhig sagen. Ich verspreche, ich werde sie dafür nicht umbringen.«
    »Als sie fünf war, hat sie überall verkündet, dass sie mich mal heiraten würde. Ich war damals fünfzehn. Und ich hab ihr nicht widersprochen. Überhaupt hat ihr nie jemand widersprochen. Sie war zu niedlich mit ihren blauen Augen und den blonden Locken. Wir waren alle ganz vernarrt in sie.«
    »Ihr wärt ein hübsches Paar gewesen.«
    »Sie war für mich wie eine kleine Schwester. Von Verliebtheit war da keine Spur. Ich hab mir nur immer Sorgen um sie

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