Das Jahr der Kraniche - Roman
ein Eindringling. Elke war all die Jahre die Frau gewesen, die hier zu Hause war. Der See hatte ihr gehört, das Pferd. Auch Jan? Sie fragte sich, ob Elke es ihr übel nahm, dass sie plötzlich hier aufgetaucht war und sie verdrängte.
Aber hatte sie nicht immer damit rechnen müssen, dass Jan eines Tages wieder zurückkommen würde? Möglicherweise hatte sie das wirklich erwartet. Vielleicht sogar erhofft. Vielleicht hatte sie sich ausgemalt, dass alles wieder so werden würde, wie es früher einmal gewesen war. Sie und Jan, eine gewachsene Einheit, verbunden durch unzählige Erinnerungen, die nur ihnen gehörten. Was, wenn sie sich erhofft hatte, wieder die Stellung in Jans Leben einnehmen zu können, die sie als Kind gehabt hatte? Die beste Freundin. Mit der er alles besprach, mit der es noch so viel zu erleben gab. Eine neue Frau an Jans Seite konnte da nur stören.
Unwillkürlich schüttelte Laura den Kopf.
Sie ist verheiratet. Sie hat ein eigenes Leben. Sie kann doch nicht angenommen haben, dass es in Jans Leben nur sie geben würde. So weltfremd kann doch gar niemand sein.
Als könnte er Lauras Gedanken lesen, nahm Jan ihre Hand und zog sie an seine Lippen.
»Ihr werdet euch schon aneinander gewöhnen.«
»Aber natürlich«, beeilte sich Laura zu sagen. »Sie ist sehr nett. Ich kann mir vorstellen, dass wir gute Freundinnen werden.«
Jan öffnete die Autotür und hielt sie für Laura auf. Als sie einstieg, berührte sie seinen Arm. Sie sah ihm ins Gesicht.
»Ich wäre an ihrer Stelle auch skeptisch. Ich meine, sie kennt mich doch nicht gut. Könnte ja sein, dass ich eine blöde Zicke bin, die nur auf dein Geld aus ist oder so.«
Er hielt sie fest.
»Bist du das nicht? Ich meine, auf mein Geld aus?«
Sie sah das vergnügte Funkeln in seinen Augen.
»Doch. Nur. Dein Geld ist wirklich das Einzige, was mich an dir interessiert.« Sie lachte auf. »Oder denkst du wirklich, dass man sich in so einen alten Mann wie dich verlieben kann?«
Du bist kein Mann, den man lieben kann. Der Satz schrillte in Jans Ohren. Einen Moment musste er die Augen schließen. Die Erinnerung explodierte in ihm. Veilchenblaue Augen, die vor Wut glühten. Hände, die ihn wegstießen. Eine Tür, die knallte. Und die darauf folgende Stille.
Als Laura sah, wie sich Jans Gesicht zu einer Maske verschloss, bereute sie ihren flapsigen Satz sofort. Ich muss endlich lernen, meine Klappe zu halten. Sie wusste, dass er Probleme mit dem Altersunterschied hatte. Das hatte sich bereits früher gezeigt.
»Du bist jung und am Anfang deines Lebens. Was soll ich alter Mann dir bieten können? Eines Tages wirst du mit einem jüngeren davonlaufen.«
Sie hatten gerade miteinander geschlafen, und Laura hatte sich erschöpft und befriedigt an seine Seite gekuschelt, als er sie von sich wegschob und mit einem Blick ansah, der sie sofort alarmierte. Er meinte das tatsächlich ernst. Er fürchtete tatsächlich, dass er zu alt für sie war. Sie hatte auflachen wollen, so absurd fand sie seine Befürchtungen. Aber das Lachen war in ihrer Kehle stecken geblieben, als sie erkannte, wie verunsichert er war. Sie hatte ihn anschreien wollen, dass er keinen solchen Blödsinn reden sollte. Sie hatte ihm sagen wollen, dass es noch nie einen Mann in ihrem Leben gegeben hatte, den sie so geliebt hatte. Mit dem der Sex so lustvoll und erfüllend war. Der ihr so viel geben konnte wie er. Sie hatte ihm sagen wollen, dass sie ihn bis ans Ende ihres Lebens und darüber hinaus lieben würde. Dass es nie mehr einen Mann geben würde, der ihr so wichtig war wie er. Der ihr so viel bedeutete. Aber sie hatte geschwiegen. Wissend, dass jedes ihrer Worte an der Mauer abprallen würde, die die Furcht um ihn gebaut hatte.
Sie hatten nebeneinander in Lauras Bett gelegen und zugesehen, wie die Nacht in das Zimmer kroch. Erst als völlige Dunkelheit sie umfing, hatte er angefangen zu sprechen.
»Ich liebe dich, Laura. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Und ich will um keinen Preis der Welt, dass du unglücklich wirst.«
Seine Stimme hatte heiser geklungen, als hätten sie die vielen Stunden, die sie nebeneinander gelegen hatten, geredet.
Ob denken auch heiser machen kann?, war es ihr durch den Kopf geschossen. Die vielen unausgesprochenen Worte?
»Eins musst du mir versprechen.«
Alles, ich verspreche dir alles, was du willst. Es gibt nichts auf der Welt, was ich nicht für dich tun würde.
» Wenn du eines Tages merkst, dass ich dich unglücklich mache, dann musst du
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