Das Jahr der Kraniche - Roman
zu zweifeln?« Sie drängte sich an seine Brust. Halt mich einfach fest und lass mich nie mehr los. Mehr will ich nicht.
» Ich zweifle nicht an dir. Das musst du doch wissen.«
Ich bin es, an dem ich zweifle. Das Leben ist es, an dem ich zweifle.
Sie hob den Kopf, ihre Lippen suchten seine.
»Ich bin hier. Und du bist hier. Das ist das Einzige, was wichtig ist.«
Wie konnte sie nur so unerschütterlich daran glauben, dass das Glück, das sie seit dem Tag, als sie einander begegnet waren, in einen warm leuchtenden Mantel hüllte, auf ewig andauern würde? Woher nahm sie die Gewissheit, dass nichts sie jemals trennen würde? Würde sie das auch denken, wenn sie seine Geschichte kannte? Aber wenn er Angst hatte, dass sie ihm davonlaufen würde, wenn sie die ganze Wahrheit über ihn erfuhr, wieso war er mit ihr dann ausgerechnet hierhergekommen? Wo die Gefahr, dass alles ans Licht kam, so groß war. Wollte er, dass es passierte? Dass sie herausfand, was ihn damals weggetrieben hatte? Was davor geschehen war? Und wenn er das wirklich wollte, wieso hatte er ihr bis jetzt nichts von dem erzählt, was er die Katastrophe seines Lebens nannte? Hoffte er, dass sie ihn hier, wo die Geschichte ihren Lauf genommen hatte, verstehen würde?
»Und ich zweifle nicht an dir. Ich weiß, dass du mich liebst. Ich vertraue dir. Du wirst alles tun, damit ich glücklich bin. Und ich verspreche dir, es wird dir gelingen. Und da ich dich liebe, wird es überhaupt nicht schwer für dich sein.«
Er konnte ihr nicht antworten. Es gab nichts, was er in diesem Moment noch hätte sagen können.
Ihre Lippen fanden einander. Wie so oft konnte er es nicht fassen, wie gut sie schmeckte. Er spürte, wie ihre Zunge sich in seinen Mund bohrte. Der kleine Seufzer, mit dem sie ihm das Hemd aus der Hose zog, um seine Haut zu spüren, erregte ihn. Er wollte sie nehmen, jetzt, hier, auf der Stelle. Er hob sie ein wenig hoch. Sein Mund fand ihre Brustwarzen, die sich fest gegen ihr dünnes Shirt drückten. Als er den Reißverschluss ihrer Hose aufziehen wollte, lachte sie leise auf.
»Nicht vor den Kranichen.«
Er folgte ihrem Blick und sah, dass unter den Kranichen Unruhe entstanden war. Einige schlugen mit den Flügeln, andere hüpften flatternd auf und ab, zwei erhoben sich mit Trompetenschreien in die Luft und flogen weite Kreise über ihren Gefährten.
»Wir machen sie nervös«, flüsterte Laura an seinem Hals. »Wahrscheinlich sind sie neidisch auf uns.«
Als Jan das Auto in halsbrecherischem Tempo über die Sandstraßen auf das Jägerhaus zulenkte, sah Laura, dass die Kraniche ihnen folgten. Und als sie ins Bett fielen, um sich zu lieben, landeten die Kraniche auf der Insel im schwarzen See. Das Klappern ihrer Schnäbel bildete die akustische Untermalung für das, was Laura und Jan für eine kleine Weile alles vergessen ließ, was sie beunruhigte. Denn, dass sie etwas beunruhigte– sie genauso wie ihn–, war ihnen beiden längst klar geworden.
7
Das Geräusch weckte Laura auf. Eine Tür war ins Schloss gefallen. Laura hatte es deutlich gehört. Hatte Jan das Zimmer verlassen, weil er wieder einmal nicht schlafen konnte? Doch ihr Mann lag ruhig atmend neben ihr. Überzeugt, sich getäuscht zu haben, zog sie die Decke enger um die Schultern und schloss die Augen.
Das waren doch Schritte. Sie lauschte in die Dunkelheit. Die Schritte waren kaum zu vernehmen, aber sie waren da. Leise, als würde jemand versuchen, nur kein Geräusch zu machen. Das Herz klopfte ihr im Hals. Sie legte eine Hand auf die Brust, versuchte, ruhig zu atmen, und stand auf. Sie schlüpfte in die Espadrilles und griff nach dem Kimono, der am Fußende des Betts lag. Leise öffnete sie die Tür und schlüpfte aus dem Zimmer.
»Hallo?« Ihre Stimme klang zaghaft. »Wer ist denn da?«
Eine Treppenstufe knarrte. Sie wusste inzwischen, dass in der vierten ein zentimeterbreiter Spalt klaffte, was zur Folge hatte, dass die Stufe ein Geräusch machte, wenn man auf sie trat. Wahrscheinlich geisterte der Hund durchs Haus. Sie war erleichtert, als ihr diese Erklärung einfiel. Natürlich, es war der Hund. Er sollte zwar in der Halle in dem Korb schlafen, den sie inzwischen für ihn angeschafft hatten, aber es konnte ja sein, dass er Sehnsucht nach ihnen hatte und sich vor ihre Schlafzimmertür legen wollte. Sie würde ihm klarmachen, dass das nicht ging. Als sie das Licht anmachen wollte, tat sich nichts. Wie in ihrer ersten Nacht blieb das Treppenhaus auch jetzt dunkel. Dabei
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