Das Jahr der Kraniche - Roman
Leben mit Jan in dem Haus eingelassen hatte, das so viel Unglück barg.
Zu schade, dass er mich nicht leiden kann.
Laura glaubte, den Blick, mit dem ihr Marius nachsah, im Rücken brennen zu spüren. Sie hatte ihn von Anfang an nett und sympathisch gefunden. Und gleichzeitig das Gefühl gehabt, dass er ihr nicht mit der gleichen Offenheit entgegentrat wie sie ihm. Dabei hatte sie sich darauf gefreut, ihn kennenzulernen. Vor allem, weil Jan ihr erzählt hatte, dass Marius genau wie sie aus Bayern stammte. Nicht aus München zwar, sondern aus einem kleinen Kaff in der Nähe von Rosenheim, wo sein Vater ein beliebter Landarzt gewesen war. Aber das war Laura egal gewesen. Ein bisschen bayerisch miteinander zu reden, das hätte ihr sehr gefallen. Sie hatte sich enorme Mühe gegeben mit dem ersten Essen, zu dem sie Elke, Marius und Hanno eingeladen hatten. Einen echt bayerischen Schweinsbraten hatte es gegeben mit Knödeln und Krautsalat und danach das fetttriefende Schmalzgebäck mit dem schönen Namen »Auszogene«. Nicht, dass es ihren Gästen nicht geschmeckt hatte. Hanno hatte sich zweimal nachlegen lassen, und Elke hatte unbedingt das Rezept für die »Auszogenen« haben wollen, doch die Stimmung war sehr verhalten geblieben. Vor allem deswegen, weil sich Marius kaum am Gespräch beteiligt und sich auch nicht auf eine Unterhaltung auf bayerisch mit Laura eingelassen hatte. Er sei schon so lange weg, hatte er nur gemeint, dass er die Mundart seiner Heimat total verlernt hätte. Als würde man so was verlernen können.
Lauras Enttäuschung war groß gewesen. Es hätte ihr einfach gefallen, jemanden in ihrer Nähe zu wissen, der auch nicht von hier stammte und der– wenn auch vor vielen Jahren– die gleichen Erfahrungen der Eingewöhnung hatte machen müssen wie sie. Allerdings, das musste sie zugeben, hatte Marius ihr auch Mut gemacht. Er schien sich sehr gut integriert zu haben in diese Gegend. Er war beliebt und anerkannt. Niemand schien heute noch daran zu denken, dass er ja eigentlich ein Fremder und dazu auch noch ein Wessi gewesen war.
»Lass ihm einfach Zeit«, hatte Jan gesagt, als sie mit ihm über Marius ’ Zurückhaltung geredet hatte. »Er ist halt nicht so offen und unbekümmert wie du.«
Wenn es das war, dann von ihr aus. Sie würden sich mit der Zeit schon näherkommen, hatte sie gedacht. Und wenn nicht, dann hätte sie halt Pech gehabt.
Muss mich ja nicht jeder so lieben wie Jan.
Die nächsten Male, die sie Marius getroffen hatte, war er zwar freundlicher gewesen, aber hatte sie immer mit diesem Blick angesehen. Forschend, irgendwie nachdenklich. Gerade, dass er ein Lächeln zustande bekommen hatte, wenn er sie in seiner Küche begrüßte, wo sie mit Elke einen Kaffee trank. Aber zu ihnen gesetzt hatte er sich nie. Und auch nicht nachgefragt, wie es ihr ging oder ob sie sich schon eingewöhnt hatte. Die ganz normalen Fragen eigentlich, die man jemandem stellte, der erst vor Kurzem hierhergezogen war.
Elke hatte ihr erzählt, dass sie Marius beim Studium in Hamburg kennengelernt hatte und dass sie, als in Templin die alte Arztpraxis zu verkaufen gewesen sei, mit ihm hierher zurückgekommen sei. Das war fast fünfzehn Jahre her. Marius ’ Praxis sei von Anfang an gut gelaufen. Die Leute mochten ihn. Und sie selbst sei sehr froh, dass er sich hier so gut zurechtgefunden habe. Das Einzige, was ihnen zu ihrem Glück noch fehlte, war ein Kind.
»Aber das«, hatte Elke mit einem traurigen Lächeln gesagt, »haben wir uns inzwischen abgeschminkt. Es soll einfach nicht sein.«
Vielleicht erklärte das ja den Schatten, den Laura über Marius wahrzunehmen glaubte, dass er und Elke keine Kinder haben konnten. Vielleicht hatte er von einer lustigen, großen Familie geträumt und musste sich nun damit abfinden, dass ihm das einfach nicht vergönnt sein würde. Auf jeden Fall aber schienen er und Elke glücklich miteinander zu sein und dankbar, dass sie es so gut miteinander hatten.
»Nicht, dass wir nicht auch schwierige Zeiten miteinander gehabt hätten«, hatte sie Laura anvertraut. »Aber wir haben nicht aufgegeben. Und heute sind wir darüber echt froh.«
Wenn froh sein so aussieht wie bei Marius, dann kann ich gut darauf verzichten.
Laura schämte sich ein wenig für diesen Gedanken, als sie hinter Shadow her auf die Pferdekoppel kam, wo Hermes und Flora friedlich grasten. Die Pferde hoben den Kopf und kamen auf sie zu. Flora beschnupperte sie neugierig. Irgendwo musste sie doch den Apfel
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