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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Wohnzimmer auf dem Sofa liegen und fernsehen, bis ihr irgendwann die Augen zufielen. Und morgen würde sie, vielleicht, darüber nachdenken, was dieser ganze Spuk heute Nacht zu bedeuten haben könnte.
    »Mir wäre aber wohler…«
    »Ich bin nicht krank. Und du musst morgen früh fit sein. Also jetzt geh endlich. Oder muss ich dich rauswerfen?«
    Irgendetwas gefiel ihm nicht. Obwohl– ihre Augen waren klar und strahlend. Sie hatte sich aufgewärmt, ihre Wangen hatten ihre normale Farbe wiederbekommen, das Zittern hatte aufgehört. Trotzdem, war ihre Stimme nicht ein wenig zu… forsch? Die Bewegung, mit der sie jetzt vom Sofa aufstand, nicht ein wenig zu schwungvoll?
    »Du bist wirklich sicher, dass alles in Ordnung ist?«
    Sie hielt ihm mit einem auffordernden Blick die Hand hin.
    Er fühlte ihren Puls, der wieder ganz gleichmäßig war.
    »Okay, ich gehe. Aber wenn was ist, Laura, dann…«
    »…ruf ich dich sofort an, klar. Aber es wird nichts sein.«
    Sie brachte ihn zur Tür und bedankte sich noch einmal. Und plötzlich umarmte sie ihn.
    »Danke, dass du da warst.«
    Es war nur der Splitter einer Sekunde, die er sie festhielt.
    Sie spürte seinen Herzschlag ganz deutlich. Seinen Atem an ihrer Schläfe. Und sie fühlte sich augenblicklich sicher und geborgen. Die Verlockung, einfach so stehen zu bleiben, festgehalten von seinen Armen, überwältigte sie unerwartet. Sie trat einen Schritt zurück und fuhr sich verlegen durch die Haare.
    »Es wäre mir lieb, wenn du Jan nichts von unserer… ähm… nächtlichen Begegnung erzählen würdest. Ich will nicht, dass er sich auch noch Sorgen macht.« Bevor er etwas erwidern konnte, öffnete sie ihm die Haustür. »Ich muss dich wohl nicht an deine ärztliche Schweigepflicht erinnern?«
    »Musst du nicht. Obwohl ich es gut fände, wenn du Jan erzählen würdest… was du nachts so treibst, wenn er nicht da ist. Ich meine, er ist dein Mann. Er sollte wissen…«
    »Ich bin sicher, ich weiß auch nicht alles über ihn. Es gibt Dinge, die man niemandem gern erzählt. Auch wenn es sich nur um so harmlose Defizite wie Schlafwandeln handelt.«
    Als sie die Tür hinter Marius schloss, atmete sie tief durch.
    Okay, das hab ich jetzt davon. Jetzt kann ich sehen, wie ich zurechtkomme.
    Sie machte alle Lichter im Haus an, holte sich das Eis, das sie vorher nicht aufgegessen hatte, wickelte sich in eine Decke, schaltete den Fernseher ein, in dem gerade eine unsägliche Spielshow lief– etwas, das sie sich freiwillig niemals ansehen würde–, und legte sich auf das Sofa. Sie würde die Nacht schon herumbringen, ohne noch einmal einzuschlafen. In ein paar Stunden würde es hell werden, und dann würde sie über den Spuk, den sie erlebt hatte, nur noch lachen.

2
    Nebelschwaden füllten die Talsenken, waberten über den Seen und Bächen und verwandelten die tags zuvor noch frühsommerlich üppige Landschaft in ein graudüsteres Caspar-David-Friedrich-Bild. Der rote Giebel einer Kirchenruine ragte spitz aus der wattigen Hülle. Die Wipfel der Buchen, die feucht glänzende Landstraßen säumten, verschwammen in tief liegenden Wolken. Wie ausgestorben wirkte das Land. Kein Mensch war unterwegs, kein Tier zu sehen. Nur hier und da tauchte aus dem Weiß eine einsame Kuh auf, merkwürdig schwebend über einem bodenlosen Grund. Reglos stand sie da wie ein Spielzeugtier, hineingesetzt in eine unberührte Flur.
    Über allem lag eine undurchdringliche Stille.
    Laura fröstelte, als sie hinter dem Hund her ihren morgendlichen Gang durch den Wald machte. In den letzten Wochen waren ihre Spaziergänge immer länger geworden. Sie hatte bald schon die Wege verlassen und war querfeldein über blühende Wiesen und durch schattige Wälder gegangen. Zwar hatte Jan sie gewarnt, dass es immer wieder vorkam, dass sich Wanderer in den endlosen undurchdringlichen Wäldern verliefen und erst nach stundenlangem Herumirren wieder zurück auf Wege und Straßen fanden. Laura aber hatte sich ihres untrüglichen Orientierungssinns gerühmt und einigermaßen unbekümmert ihren Radius immer weiter ausgedehnt. Im Übrigen war sie sich absolut sicher, dass Shadow, sollte sie sich tatsächlich einmal verlaufen, den Weg zurück auf jeden Fall finden würde.
    »Shadow!«
    Gerade eben hatte sie den Hund noch ein paar Meter vor sich laufen gesehen.
    »Shadow. Hierher.«
    Ihre Stimme klang dünn, wie gedämpft durch die Nebeltücher, die durch den Wald schwebten und die Sicht immer wieder auf ein Minimum begrenzten. Der

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