Das Jahr der Kraniche - Roman
Problemen, von Träumen und auch von Albträumen, von Schicksalsschlägen und Hoffnungen, die sich so oft nicht erfüllten.
Es gab Patienten, bei denen er auf seinen Wegen auch einfach mal so vorbeisah. Nur um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war. Und es gab Patienten, bei denen er schon allein deswegen gern war, weil es ihm einfach gut tat, sie zu sehen. Maike und Helmut gehörten in diese Kategorie. Es gefiel Marius, mit welchem Elan sie ihr Leben anpackten. Ihr Optimismus und ihre Lebensfreude imponierten ihm. Sie hatten sich für dieses durchaus nicht immer einfache Leben als Bio-Bauern entschieden, und es wirkte, als hätten sie diesen Entschluss noch keinen Tag bedauert. Das Haus war erfüllt von einer glückhaften Harmonie. Maike und Helmut liebten einander, ihre Kinder waren Wunschkinder gewesen– sie lebten das Leben, das Marius eigentlich für sich erträumt hatte.
Am Morgen, als er zu den kranken Kindern gekommen war, die beide mit Brechdurchfall und Fieber im Bett gelegen hatten, hatte er sie mit Medikamenten versorgt und Maike noch gute Ratschläge gegeben, wie sie verhindern konnte, dass die Kleinen austrockneten, was immer eine Gefahr bei kleinen Kindern war, die nichts bei sich behalten konnten. Er hatte im Laufe des Tages bei Maike angerufen und erfahren, dass es den Kindern allmählich besser ging. Also wäre der späte Besuch an diesem Abend eigentlich nicht nötig gewesen. Aber nachdem er seinen letzten Hausbesuch beendet hatte, war er kurz entschlossen noch einmal zu den Emmerlichs gefahren, zumal deren Hof fast auf seinem Heimweg lag. Möglich, dass er unbewusst seine Ankunft zu Hause hinauszögern wollte. Möglich, dass er nur ein bisschen von der hellen Stimmung, die immer bei den Emmerlichs herrschte, auftanken wollte. Er ahnte, dass er dem Zusammensein mit Elke auswich, wenn sich die Möglichkeit bot, aber er gestattete es sich nicht, länger darüber nachzudenken. Er hatte die Kinder, denen es schon deutlich besser ging, untersucht, hatte sich noch für ein paar Minuten in die gemütliche Küche gesetzt und sich von Maike einen Espresso geben lassen, der hervorragend schmeckte und ihn wahrscheinlich um seinen Schlaf bringen würde. Sie hatten über das Wetter geredet und über Uwes Einschulung nach den Sommerferien, über den neuen Tierarzt, der seit einem Monat seine Praxis in Templin hatte, über Helmuts Plan, ein paar Ferienappartements in der alten Scheune zu bauen, und schließlich hatte Maike ihm das Kälbchen gezeigt, das am selben Nachmittag geboren worden war. Und sie hatten zusammen mit einem Schnaps auf das neue Leben angestoßen. Marius hatte insgeheim gedacht, dass er die beiden einfach öfter besuchen müsste. Dann würde es ihm wahrscheinlich auch besser gehen.
»Kein Problem.«
Er umarmte Maike und freute sich einen winzigen Moment an ihren Rundungen, die sich warm und fest anfühlten.
»Erstens ist das mein Job, und zweitens– du weißt ja, wie gern ich euch besuche.«
Maike drückte ihm einem vergnügten Kuss auf die Wange.
»Immer wieder gern. Du bist unser liebster Gast, das ist dir schon klar. Und Elke natürlich auch.«
Es entging Marius nicht, dass sie Elke ein wenig zu schnell erwähnte. Die beiden Frauen hatten sich nicht allzu viel zu sagen, das war ihm klar. Zwar kaufte Elke gern bei Maike und Helmut ein, aber insgeheim sah sie mit einer gewissen Verachtung auf die beiden Bio-Bauern. Städter, die vom Landleben träumten, hatte sie schon viele kommen und gehen sehen. Fantasten nannte sie sie, die keine Ahnung davon hatten, wie schwer das Leben als Bauer tatsächlich war. Dass Maike und Helmut ihren Hof jetzt schon seit vier Jahren betrieben und es nicht den Anschein hatte, dass sie so bald wieder aufgeben würden, interessierte sie anscheinend nicht.
Vielleicht ist sie ja auch ein bisschen neidisch.
Marius wusste, dass auch Elke sich ihr Leben anders vorgestellt hatte. Auch wenn sie schon längst nicht mehr darüber redeten– die Gewissheit, dass sie keine Kinder haben würden, schmerzte sie genauso tief wie Marius.
Vielleicht sollte ich sie doch noch einmal dazu zwingen, über eine Adoption nachzudenken.
Ein Kind im Haus würde sicher vieles ändern. Die Stille, die bei ihnen herrschte, würde ein Ende haben. Die gemeinsame Verantwortung würde sie einander wieder näherbringen. In der Zeit, als, nach den fehlgeschlagenen Versuchen einer künstlichen Befruchtung, klar geworden war, dass sich ihr Kinderwunsch nicht erfüllen würde, hatte er
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