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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Brombeerranken streiften ihre Beine. Dieser kurze, scharfe Schmerz, wenn sich die winzigen Stacheln in ihre Haut bohrten.
    Was ist bloß passiert? Wieso bin ich hier? Wieso bin ich denn nicht im Haus?
    Sie fühlte Shadows warme Schnauze an ihrem Oberschenkel. Der Hund sah sie mit seinen braunen Augen an. Hatte sie den Hund ausführen wollen? Hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er raus musste, und sie hatte mit ihm einen kurzen Spaziergang gemacht? Aber wieso hatte sie sich nichts übergezogen? Wieso hatte sie keine Schuhe an?
    Sie rannte. Etwas war hinter ihr her. Diese Stimme. Eine Frau. Da war eine Frau. Sie sah sich durch das Haus gehen, die Türen aufreißen. Da war diese Stimme gewesen. »Hilfe.« Diese verzweifelte Stimme.
    Jetzt bin ich völlig verrückt geworden.
    » Kann es sein, dass du schlafgewandelt bist? Hast du so was schon mal getan?«
    Marius ’ Blick war sehr besorgt. Wie sollte es auch anders sein? Da fand er sie mitten in der Nacht auf der Straße, halb nackt, zerkratzt, völlig verstört.
    Er muss denken, dass ich durchgeknallt bin.
    » Ja«, sagte sie, »das kann sein. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich als Kind manchmal schlafgewandelt bin. Einmal hat sie mich sogar auf der Straße gefunden. Ich war einfach losmarschiert, im Nachthemd, ohne Schuhe. Sie muss einen ziemlichen Schrecken bekommen haben.«
    Sie wusste ganz sicher, dass sie wach gewesen war. Falls es stimmte, was ihre Mutter ihr erzählt hatte– dass sie als Kind tatsächlich ein paar Mal schlafgewandelt war–, sie konnte sich nicht erinnern, dass ihr das einmal als Erwachsene passiert war. Aber das würde sie Marius nicht sagen. Sie würde überhaupt niemandem sagen, was ihr heute Nacht passiert war.
    »Mir ist kalt.« Sie versuchte ein Lächeln. »Meinst du, du kannst mich nach Hause bringen? Zu Fuß ist es mir eigentlich zu weit.«
    Er brachte sie zum Auto, half ihr auf den Beifahrersitz. Seine Hand war warm und beruhigend. Wenn nur sein Blick nicht so besorgt gewesen wäre. Sie wollte nicht, dass er sich Gedanken über das machte, was hier gerade passierte.
    »Ich hab wahrscheinlich zu viel zu Abend gegessen. Wenn ich allein bin, tröste ich mich gern mit einem dicken Steak und Bratkartoffeln. Und hinterher hab ich mir auch noch eine doppelte Portion Eis genehmigt.«
    Er musste einfach glauben, dass sie nicht verrückt war.
    »Auf jeden Fall solltest du in der nächsten Zeit die Haustür verschließen und den Schlüssel nicht im Schloss stecken lassen, sondern irgendwo hinlegen. Schlafwandler sind nämlich normalerweise nicht besonders geduldig. Und wenn du wieder einmal im Schlaf die Tür zu öffnen versuchst und sie nicht gleich aufgeht, wirst du vermutlich einfach wieder in dein Bett zurückgehen.«
    Er reichte ihr die Tasse Melissentee, die er ihr aufgebrüht hatte, während sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte.
    »Du bist sehr nett, danke.«
    »Wenn du willst, bleibe ich heute Nacht hier.«
    »So ein Blödsinn. Es ist lieb, dass du dir Sorgen machst, aber ich werde sicher nicht zweimal in einer Nacht auf Tour gehen. Nein, du fährst jetzt nach Hause. Elke wird sich schon Gedanken machen, wo du bleibst.«
    Sie sah seinen zweifelnden Blick.
    Er glaubt mir nicht. Er glaubt, dass ich ihm irgendwas verschweige.
    Der Tee tat ihr gut. Seine Wärme breitete sich in ihr aus. Jetzt hörte auch endlich das Zittern auf. Shadow hatte sich auf ihre Beine gelegt, den Kopf auf ihre Oberschenkel. Er starrte sie unverwandt an.
    »Shadow wird schon auf mich aufpassen. Mach dir keine Sorgen.«
    »Mir Sorgen zu machen ist mein Beruf.«
    Sie hatte bis jetzt gar nicht gesehen, dass in seinen blauen Augen grüne Einsprengsel waren. Sie hielt seinem Blick eine Sekunde lang stand. Wenn sie ihn auch sonst als zurückhaltend oder sogar abweisend empfunden hatte– in diesem Moment war er nur fürsorglich.
    »Ich mach dir einen Vorschlag: Du gehst jetzt wieder zu Bett, und ich bleibe noch so lange, bis du eingeschlafen bist.«
    Fast hätte sie Ja gesagt. Ja, das machen wir so. Der Gedanke, nicht allein in diesem Haus zu sein, war zu verlockend. Sie würde sicher ruhig einschlafen, wenn sie wüsste, dass er hier war. Doch sie schüttelte den Kopf.
    »Ich werd jetzt sowieso nicht schlafen können. Ich mach den Fernseher an und guck mal, was das Nachtprogramm Interessantes zu bieten hat. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, es ist alles in Ordnung. Ich bin wach, und das ist gut so.«
    Genau so würde sie es machen. Hier im

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