Das Jahr der Kraniche - Roman
schien, vor sie hin. Eine Weile lang sagte er nichts.
»Erzähl mir was von ihr. Wie hat sie ausgesehen, wie war sie, was hat sie gemacht…?«
Sollte er sagen, dass sie genauso schön gewesen war wie Laura? Dass sie einander sogar ein wenig ähnlich sahen?
»Jan hatte sie in München kennengelernt. Sie war zwei Jahre jünger als er. Studierte… keine Ahnung… irgendwas mit Kunst oder so… Sie haben einfach nicht zusammengepasst.«
Und deswegen hatte ihr Jan das verschwiegen? Meine Güte, so was kam doch vor.
»Hat sie ihn betrogen?«
Das wäre wenigstens eine Erklärung dafür gewesen, dass er geschwiegen hatte. So etwas gab niemand gern zu. Vor allem nicht vor jemandem, in den man sich gerade verliebt hatte. Vielleicht hatte er ja Angst gehabt, dass sie ihn mit anderen Augen sehen würde, wenn sie erfuhr, dass es ihm nicht gelungen war, eine Frau, die er liebte, zu halten.
»Das weiß ich wirklich nicht. Jan hat nicht darüber gesprochen, wieso sie sich getrennt haben.«
Natürlich hat er nicht darüber gesprochen. Männer tun so was nicht gern. Laura trank vorsichtig den starken heißen Kaffee, den Hanno noch nach der alten Brühmethode herstellte. Sie schloss die Augen. Die Sonne brannte ihr aufs Gesicht. Bald würde sie ihre blasse Winterfarbe endgültig verloren haben. Shadow lag auf ihren Füßen, was ihr einerseits gefiel, weil sie spürte, dass er damit das Vertrauen ausdrückte, das er inzwischen in sie hatte, was aber mit steigenden Temperaturen auch langsam ein wenig lästig würde. Ihre Füße glühten unter dem Fell des Hundes, als würde sie sie an einen warmen Ofen halten. Sie versuchte vorsichtig, wenigstens den einen Fuß unter dem Hund herauszuziehen. Doch Shadow rückte sofort mit einem leisen Murren nach.
»Er liebt dich eben.«
Hanno hatte die kleine Szene lächelnd beobachtet. Ein anderes Bild war in ihm aufgestiegen. Auch Pogo hatte immer auf Julias Füßen gelegen. Auch sie hatte in der ersten Zeit, in der sie hier gewohnt hatte, gern bei ihm gesessen und einen Kaffee getrunken. Bis sie dann plötzlich damit aufhörte… Ob Laura auch bald nicht mehr kommen würde?
Er versuchte, den Gedanken wegzuschieben. Sie war ganz anders als Julia. Sie liebte Jan wirklich. Und wie es aussah, war sie entschlossen, ihr Glück, das sie mit Jan gefunden zu haben glaubte, festzuhalten.
»Wenn ich dir einen Rat geben darf…«
Sie sah in den Augen des alten Mannes etwas aufblitzen, das sie als Sorge interpretierte.
»Ja? Nur zu.«
»Nimm es Jan nicht übel, dass er dir nichts von Julia erzählen wollte. Das ist Vergangenheit. Lass es nicht zu, dass sie die Gegenwart verdüstert. Und schon gar nicht eure Zukunft.«
Einen Moment lang fragte sie sich, wieso seine Stimme so eindringlich war. Wenn die Sache mit Julia wirklich so harmlos gewesen war, wieso sollte sie dann so viel Einfluss auf ihre Gegenwart haben?
Er macht sich nur Sorgen um Jan. Er hat Angst, dass es ihm nicht gut geht. Oder dass ich ihm auch so abhandenkomme wie diese Julia.
Sie umarmte Hanno zum Abschied. Es war rührend, wie sehr er sich um Jan sorgte.
»Mach dir keine Sorgen, es ist alles okay. Jan und ich, wir kriegen das schon hin. Garantiert.«
Der schrille Schrei des Seeadlers, der sich pfeilschnell ins Wasser des Sees stürzte und Sekunden später mit heftigen Flügelbewegungen mit einem Fisch in den Krallen wieder auftauchte, ließ Hannos Antwort beinahe untergehen.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich euch wünsche, dass es euch beiden miteinander gut geht.«
Nachdenklich sah Hanno Laura hinterher, die mit wie immer weit ausholenden Schritten den kleinen Weg, der am See vorbei zum Jägerhaus führte, entlangschritt, gefolgt von Shadow, der jetzt mit einem großen Satz ins Wasser sprang und fiepend einem Entenpaar hinterherschwamm, das sich unaufgeregt zur Mitte des Sees hin entfernte– den Hund, der sie verfolgte, nicht im Geringsten beachtend.
Über dem See lag fast waagerecht die fadenschmale Sichel des Mondes in einem durchsichtig blaugrünen Abendhimmel. Keine Wolke war zu sehen, ein lauer Wind säuselte über das Wasser, das sich zu winzigen Wellen kräuselte, die mit einem kaum vernehmbaren Geräusch ans Ufer stießen. Von der Insel wehte in der Stille ein hohes Zirpen herüber, das sich zu einem aufgeregten Gepiepse steigerte, als die Kranicheltern, die Schnäbel voller Gewürm oder winziger Fische, zur Landung ansetzten. Shadow lag mit gespitzten Ohren auf dem Steg, den Kopf auf den Pfoten, die
Weitere Kostenlose Bücher