Das Jahr der Kraniche - Roman
Glücks nichts anderes geherrscht hatte als eine verzweifelte Leere. Keine zwei Jahre hatte es gedauert, bis alles zerbrochen war.
Vielleicht hätte Jan mehr kämpfen müssen. Vielleicht hätte er sich nicht irritieren lassen dürfen durch den Sturm, der ihn da plötzlich umgeworfen hatte. Vielleicht hätte er aufstehen und zupacken müssen. Festhalten, so wie sie es getan hatte. Sie hatte um Marius gekämpft, und sie hatte gewonnen, weil sie es einfach nicht zugelassen hatte, dass das, was sie sich aufgebaut hatten, durch eine Nichtigkeit zerstört worden wäre. Und es war eine Nichtigkeit gewesen. Dann aber hatten sie beide erkannt, wie wertvoll ihre Beziehung war und wie dankbar sie sein mussten, dass sie einander gefunden hatten. Und heute war ihre Ehe stabiler denn je. Es gab nichts mehr, was sie erschüttern konnte.
Michael Persius freute sich, Laura wiederzusehen. Er hatte schon überlegt, ob er sie mal anrufen sollte. Aber da sie davon geredet hatte, ihn einmal zum Essen einzuladen, hätte er es unhöflich gefunden, sich als Erster zu melden. Umso netter war es, sie jetzt vor dem Supermarkt zu treffen.
»Das sieht mir ja nach einer gigantischen Einmachorgie aus.«
»Na, so was. Ein Mann, der sich in der Küche auskennt. Ich wusste gar nicht, dass du Michael kennst, Laura.«
»Kennen dürfte zu viel gesagt sein. Wir sind uns einmal begegnet, Frau Plathe und ich. Im Wald sozusagen.«
Laura wunderte sich nicht, dass Elke und der Fotograf einander kannten. Sie hatte erfahren, dass er seine Bücher regelmäßig in der kleinen Buchhandlung am Marktplatz vorstellte und auch hin und wieder einmal einen Vortrag über die Kunst der Naturfotografie hielt. Er war mit den Jahren sozusagen ein Ortsprominenter geworden, auf den man in der Gegend richtig stolz war. Sie hatte im Internet einige seiner Fotos und seine Biografie gefunden und war von beidem gleichermaßen beeindruckt. Vor allem die Schwarz-Weiß-Fotos der Nebellandschaften hatten sie begeistert. Michael Persius war es gelungen, die geheimnisvolle Stimmung, der sie vor Kurzem auch erlegen war, in wunderbar komponierten Bildern festzuhalten. Sie hatte längst vorgehabt, ihn anzurufen und zum Essen einzuladen, und nutzte nun die Gelegenheit, es sofort zu tun.
»Ich komme gern. Sagen Sie mir nur, wann und was ich mitbringen soll.«
Er gab ihr seine Handynummer, aber Laura wollte es jetzt nicht mehr hinauszögern und lud ihn für den nächsten Abend ein.
»Und mitbringen müssen Sie nichts. Wobei… Es würde mich freuen, wenn Sie ein paar der Fotos mitbringen würden, die Sie kürzlich gemacht haben.«
Michael versprach, das zu tun.
»Da hast du also den interessantesten Typen schon kennengelernt, den die Gegend hier zu bieten hat, und sagst mir kein Wort davon.«
Elke lud die Tüten ins Auto und grinste Laura über das Autodach hinweg an.
»Aber ich muss dich warnen, Michael Persius ist ein berüchtigter Weiberheld. Die Zahl der Herzen, die er in der Gegend gebrochen hat, ist riesig.«
»Soll das heißen, du bist ihm auch verfallen?«
Elkes Lachen klang in Lauras Ohren ein wenig gezwungen.
»Ich würde meine Ehe nie aufs Spiel setzen, egal, wer sich da wie charmant um mich bemühen würde. Und du sollest das auch nicht tun.«
Der warnende Unterton in ihrer Stimme entging Laura nicht. Was dachte sie sich? Dass sie sich wirklich auf einen so offensichtlichen Windhund wie Persius einlassen würde? Das konnte sie doch nicht im Ernst glauben. Sie setzte sich neben Elke ins Auto. Die vergnügte Stimmung, die gerade noch zwischen ihnen geherrscht hatte, war einem angespannten Schweigen gewichen. Manchmal fragte sie sich wirklich, was ihre Freundin– und als solche betrachtete sie Elke in der Zwischenzeit wirklich– tief in ihrem Inneren über sie denken mochte.
»Geht es dir gut?«
Marius räumte wie selbstverständlich das Geschirr in die Spülmaschine, während Laura ein paar Sahnetupfen auf das selbst gemachte Rhabarberkompott spritzte, das Elke mitgebracht hatte.
»Es geht mir prima. Mach dir keine Sorgen.«
Sie wusste, dass Marius ihre nächtliche Begegnung nicht vergessen hatte. Am Tag danach hatte er sie angerufen und gefragt, wie denn die Nacht noch gewesen sei. Ob sie habe schlafen können. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sie kein Auge mehr zugetan hatte und bis in die Morgenstunden darüber gegrübelt hatte, was denn eigentlich mit ihr los war. Das Angebot, mit ihr das Geschirr in die Küche zu bringen, hatte er sicher nur deshalb
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