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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Augen unverwandt auf die Insel gerichtet. Man konnte das Gefühl haben, dass er nur zu gern mal nachgesehen hätte, was dort drüben so vor sich ging. Laura saß in einem der weißen Korbsessel, die seit Kurzem am Ende des Stegs standen. Die Beine hatte sie auf den anderen Sessel gelegt, auf ihren Schenkeln lag ein aufgeschlagenes Buch.
    Genauso hatte es sich Jan vorgestellt. Seine Frau würde ihn am See erwarten, sie würden zusammen einen Aperitif trinken, danach einen Happen essen. Sie würden zusehen, wie der Abend in die Nacht überging, und ein wenig darüber plaudern, was der Tag ihnen so gebracht hatte. Und dann würden sie zu Bett gehen und sich lieben. Aber hatte er sich das nicht schon einmal genauso ausgemalt? Mit Julia? Hatte er nicht genau denselben Traum mit einer anderen Frau gehabt?
    Laura drehte sich zu ihm um.
    »Da bist du ja.«
    Sie kam auf ihn zu. Einen Meter entfernt von ihm blieb sie stehen.
    »Es ist so ein schöner Abend. Sollen wir hier draußen essen?«
    »Gute Idee.« Er räusperte sich. »Setz dich doch wieder. Ich hole alles aus der Küche. Rotwein oder Weißwein?«
    »Wie wäre es mit Champagner?« Ihr Blick war ernst, ihre Stimme ganz ruhig. »Ich denke, wir haben etwas zu feiern.«
    Er zog sie in seine Arme. Seine Lippen drückten einen Kuss auf ihre Haare.
    »Tatsächlich?«
    Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen. Und sie nickte.
    »Wir haben den ersten Sturm überstanden. Das ist ein Grund zum Feiern, wenn man unbeschadet aus einem Sturm hervorgeht.«
    »Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass wir in diesen Sturm kommen.«
    »Ich weiß. Du hast alles getan, dass wir ihn umschiffen.«
    »Ist mir nicht gelungen. Wir sind mitten hineingeraten. Durch meine Schuld.«
    »Aber wir sind auch wieder herausgekommen. Und es hat sich herausgestellt, dass es gar kein Sturm war, sondern nur eine harmlose Windböe. Heftig zwar, aber ganz bestimmt nicht gefährlich.«
    Hand in Hand gingen sie zum Haus, wo sie in der Küche ein Tablett mit Brot, Schinken, Käse, Obst und Champagner vollluden. Als sie das Tablett in die Hände nehmen wollte, hielt er sie an der Schulter fest.
    »Danke«, sagte er leise.
    »Wofür?«, fragte sie.
    »Dafür, dass du mir verzeihst.«
    »Gibt es denn etwas zu verzeihen? Ich denke nicht.«
    »Ich habe dir nicht…«
    »Es ist dein gutes Recht, mir nicht alles zu erzählen, was dir im Leben widerfahren ist, Jan. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Mann und eine Frau, nur weil sie sich lieben, über alles, was sie gelebt haben, Rechenschaft ablegen müssen. Die Vergangenheit ist vergangen. Wir leben in der Gegenwart. Und solange das, was du mit einer Julia oder irgendeiner anderen Person erlebt hast, keinen Einfluss auf das hat, was du mit mir erlebst, spielt es keine Rolle.«
    Sie hatte sich lange überlegt, was sie zu Jan sagen würde. Ob sie ihm Vorwürfe machen, es ihm sogar übel nehmen sollte, dass er über Julia geschwiegen hatte. Ob sie ihm drohen sollte, dass sie ihn verlassen würde, wenn er sie noch einmal so behandelte, oder ob sie ihm an den Kopf werfen sollte, dass es mit dem Vertrauen nun vorbei sei. Aber mit jeder Möglichkeit, die sie durchspielte, war ihr schwummriger ums Herz geworden. Alles, was sie heute Abend zu ihm sagen würde, müsste für den Rest des Lebens wie in Stein gehauen zwischen ihnen stehen. Es würde sie entweder auseinanderdriften lassen oder sie fester miteinander verbinden als alles andere. Sie konnte nicht hundertprozentig von sich sagen, dass sie diese Geschichte um ihre Vorgängerin wirklich schnell und restlos vergessen würde. Aber es war ihr auch klar, dass, wenn sie nicht aufhören könnte, daran zu denken, ihre Ehe mit Jan auf die Dauer keine Chance haben würde.
    »Dann lass mich dir nur noch eines sagen. Ich dachte damals wirklich, ich würde Julia lieben. Und es war schwer für mich zu akzeptieren, dass unsere Beziehung keine Chance hatte. Es hat wehgetan. Aber heute weiß ich, dass ich nie eine Frau so sehr geliebt habe wie dich. Und glaub es mir, Laura, ich werde alles dafür tun, dass wir glücklich sein werden.«
    Ich bin glücklich mit dir. Ich hab dich gefunden, und ich werde dich nie mehr loslassen.
    Laura drehte sich wortlos zu Jan um. Sie sah, dass in seinen Augen Tränen standen.
    »Ich liebe dich. Es ist alles gut.«
    Sie schlüpfte unter seine Jacke wie ein Entenküken, das sich unter dem Gefieder seiner Mutter wärmen will. Und wie das Küken fühlte sie sich beschützt und behütet, warm und

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