Das Jahr der Kraniche - Roman
dass seine damalige Freundin sich von ihm getrennt hatte. Das wäre ja geradezu lächerlich. Jans Atem wurde ruhig.
»Tut mir leid, dass ich so aus der Haut gefahren bin.«
»Kein Problem. Du hast einfach Angst, dass sie in dir nicht mehr den unwiderstehlichen Helden sieht.« Sie verzog ihr Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. »Aber Helden sind sowieso out. Männer mit Seele sind gefragt. Solche, die sich auch mal quälen und sich Vorwürfe machen. Vermutlich wirst du in ihrer Achtung sogar noch steigen, wenn sie erfährt, wie wahnsinnig sensibel du bist.«
Lachte sie ihn aus? Und wenn schon, sie hatte ja auch damit recht. Er hatte sich wie ein Vollidiot benommen.
»Und wenn sie dich deswegen verlassen sollte, ist sie sowieso nicht die Richtige für dich.« In dem Moment, als ihr der Satz aus dem Mund kam, bereute sie es schon, ihn gesagt zu haben. »Entschuldige, das war blöd. Natürlich wird sie dich nicht verlassen. Sie liebt dich. Das kann man aus hundert Metern Entfernung erkennen.« Sie musste ihn einfach lieben. Sie musste ihn glücklich machen. Er hatte es verdient. »Und wenn nicht, hau ich ihr eine über den Kopf.«
Sie hängte sich bei ihm ein und zwang ihn sanft, mit ihr zu ihrem Haus zu gehen. Sie würde ihm einen Tee machen, sie würden noch ein bisschen plaudern, und dann würde sie ihn nach Hause schicken, damit er sich mit Laura aussprechen konnte. Und Laura würde alles verstehen und nicht mehr nachhaken. Denn das hatte Elke längst erkannt: dass Laura nichts tun würde, was Jan eine Qual bereiten konnte. Sie würde verstehen, dass es da eine Wunde in seinem Herzen gab, die gerade mal so zugeheilt war. Und sie würde alles tun, damit diese Wunde nicht wieder aufriss.
Shadow rannte vergnügt durch den Wald. Laura hatte eine Weile auf Jan gewartet, aber als er nach einer Stunde nicht wieder zurück war, hatte sie sich auf einen Spaziergang mit Shadow begeben. Die Luft würde ihr gut tun. Sie würde hoffentlich auf andere Gedanken kommen. Hinter der Eichenschonung sah sie Hannos kleines Haus stehen. Sie hatte ihn schon ein paar Mal dort besucht. Es hatte ihr gefallen, mit ihm auf der Bank vor dem Häuschen zu sitzen und über Jan zu reden. Hanno schien ihr der Mensch, der am meisten über ihren Ehemann wusste. Ein bisschen Neid war in ihr aufgestiegen, als sie erkannt hatte, dass Jan praktisch zwei Väter gehabt hatte: seinen leiblichen Vater Wilhelm und eben Hanno. Sie dagegen war nach der Scheidung ihrer Mutter vaterlos aufgewachsen. Als junges Mädchen hatte sie gedacht, dass das völlig in Ordnung sei. Sie und ihre Mutter hatten sich so gut verstanden, dass sie eine weitere Bezugsperson nicht gebraucht hatte. Nur manchmal, wenn ihre Freundinnen nach Schulschluss von ihren Vätern abgeholt worden waren oder nach dem Wochenende erzählt hatten, dass sie mit ihnen beim Skifahren gewesen waren oder beim Segeln, hatte es einen kleinen Stich in ihr Herz gegeben.
Ein Eichelhäher keckerte alarmiert auf, als sie sich Hannos Haus näherte, so als würde er Wache über das Haus und seinen Bewohner halten.
»Sei still, ich bin eine Freundin.«
Sie sah dem Vogel nach, dessen schwarzblau gestreifte Seitenfedern deutlich zu erkennen waren, als er warnend ganz nah an ihr vorbeiflog.
»Laura. Willst du zu mir? Ich habe gerade Kaffee…«
Hanno sah sofort, dass mit Laura etwas nicht stimmte.
»Wieso habt ihr mich angelogen?«
Ihr Blick war traurig. Er wusste sofort, wovon sie redete, und hoffte doch, dass sie etwas anderes meinte.
»Ihr hättet mir ruhig sagen können, dass es tatsächlich eine Julia in Jans Leben gegeben hat. Was habt ihr gedacht? Dass ich in Ohnmacht falle, wenn ich erfahre, dass er vor mir schon mal eine Frau gehabt hat? Oder dass ich ihn umbringe?«
»Ich hab mir nur gedacht, dass es nicht meine Sache ist, dir von Julia zu erzählen.«
Ihr Blick war nachdenklich, als sie sich auf die Bank setzte. Hanno hatte ja recht: Wenn Jan nicht wollte, dass sie etwas von Julia erfuhr, dann hatten sie sich daran zu halten. Vielleicht war es ihnen ja sogar schwergefallen, nichts zu sagen. Vielleicht hatten sie auch gedacht, dass Jan einen Fehler machte.
»In meinen Augen war es ein Fehler, dir nichts zu erzählen.«
Hanno konnte anscheinend Gedanken lesen. Sie streichelte den Hund, dessen dunkles Fell in der Sonne glühte. Hanno ging ins Haus, um ihr einen Kaffee zu holen. Er stellte den Becher mit den kleinen Streublümchen, der so gar nicht zu einem Mann seines Alters zu passen
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