Das Jahr der Kraniche - Roman
drehte ihr den Rücken zu, die Muskeln waren angespannt. Jetzt nahm er seine Boxershorts, schlüpfte hinein und zog danach die schwarze Jeans und das Hemd an, das sie ihm gerade vom Leib gerissen hatte.
»Jan? Was ist los? Hab ich was Falsches gesagt?«
»Nein. Mir ist nur eingefallen, dass ich in Köln anrufen muss. Ich habe vergessen, nach einem wichtigen Detail zu fragen.«
Er wollte zur Tür gehen. Laura sprang aus dem Bett.
»Wer ist diese Julia?« Er schien plötzlich so weit von ihr entfernt, dass ihr ganz bange wurde. »Ich hab in Templin eine Frau getroffen, die mich mit einer Julia verwechselt hat. Sie hat sich irre gefreut, sie zu sehen. Kennst du sie?«
Sein Gesicht war plötzlich hart, sein Blick undurchdringlich.
»Falls sie deine Freundin war… du musst dir keine Sorgen machen, ich bin nicht eifersüchtig auf deine Vergangenheit. Ich meine, wenn es das ist, warum du mir nicht von ihr erzählt hast.«
Er hat sie geliebt. Bitte, lieber Gott, mach, dass alles gut ist. Dass er sie nicht mehr liebt. Ich will nicht die zweite Geige spielen.
» Ich hatte mal eine Freundin, die Julia Landau hieß, das ist richtig. Aber das ist lange her. Wir haben uns getrennt. Du musst dir keine Sorgen machen.«
Ich würde mir keine Sorgen machen, wenn du mir von ihr erzählt hättest. Ich würde mir keine Sorgen machen, wenn du nicht so komisch reagiert hättest. Verdammt, ich mache mir Sorgen!
Was war denn plötzlich los? Gerade noch war alles in Ordnung gewesen. Nein, nicht in Ordnung, es war herrlich gewesen, absolut wunderbar. Keine einzige Wolke am Liebeshimmel. Und jetzt– schwarze Wolken hingen über ihnen, Blitze zuckten in Lauras Herz. Was auch immer er mit dieser Julia gehabt hatte, es wirkte noch bis in die Gegenwart hinein.
Der Hund wich vor ihm zurück, als er die Treppe herunterrannte und aus dem Haus stürzte. Wieso hatte er ihr nicht einfach gesagt, dass es in seinem Leben eine Frau gegeben hatte, in die er verliebt gewesen war, die er sogar hatte heiraten wollen? Er war zweiundvierzig Jahre alt. Niemand würde erwarten, dass er wie ein Mönch gelebt hatte. Auch Laura nicht. So verliebt sie in ihn war, so überzeugt, dass er der einzig Richtige war, so vernünftig war sie doch auch. Sie hatte ihm von ihren früheren Beziehungen erzählt, auch von Thomas, den sie wirklich geliebt hatte. Er hätte ihr auch von Julia erzählen müssen. Laura hätte es zur Kenntnis genommen und nie mehr darüber geredet. Wieso also hatte er das nicht getan, zumal ihm doch klar gewesen sein musste, dass Laura seiner Vergangenheit begegnen würde, sobald sie hier mit ihm lebte?
Ich hätte sie nicht hierher bringen dürfen.
Oder hatte er sie hierher bringen müssen, damit er endlich Frieden finden würde? Aber hatte er den nicht schon längst gefunden? Hatte er nicht eine wundervolle Zukunft mit Laura vor sich? Wieso setzte er das aufs Spiel? Wollte er nicht, dass sie bei ihm blieb? Brauchte er den Schmerz, um das Gefühl der Schuld zu übertünchen?
Elke erschrak, als sie Jan sah. Diesen Gesichtsausdruck hatte sie schon einmal bei ihm gesehen. Er war grau im Gesicht, seine Augen flackerten dunkel.
»Jan, hallo. Wie war es in Köln?«
Sie versuchte, entspannt zu wirken, und wusste doch, dass etwas ins Rollen gekommen war, das sie alle nicht mehr aufhalten konnten.
»Gut. Es war gut in Köln. Sieht so aus, als würde ich den Auftrag bekommen.«
Er wollte nicht mit ihr reden. Er wollte allein sein, einfach nur seine Ruhe haben.
»Hast du Lust auf einen Kaffee?«
»Tut mir leid, ich habe keine Zeit. Ein andermal, ja?«
Wie unruhig er war. Er konnte sie nicht ansehen. Sein Blick flog über den See, über die Bäume, an ihr vorbei.
»Sie hat dich nach Julia gefragt.«
»Das geht dich nichts an.«
Er schrie sie an. Wieso konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
»Sag ihr einfach, was damals passiert ist. Dass sie dich verlassen hat. Ich verstehe sowieso nicht, wieso du es ihr nicht erzählt hast.«
Wieso ich Laura nichts von Julia erzählt habe? Ist das denn wirklich so schwer zu verstehen? Natürlich – Elke hatte ja keine Ahnung.
» Du bist nicht der Einzige, dem so etwas passiert. Ich hab dir das schon damals gesagt. Es war einfach Pech. Sie hat dich nicht mehr geliebt und ist abgehauen, Jan, das ist doch nichts, wofür man sich schämen muss. Wahrscheinlich ist Laura so etwas auch schon passiert.«
Im Grunde hatte sie ja wirklich recht. Laura würde ihn selbstverständlich nicht dafür verurteilen,
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