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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gemacht, weil er die Gelegenheit suchte, mit ihr zu reden. Sie sah ihn direkt an.
    »Wenn du wissen willst, ob ich wieder nächtliche Wanderungen unternommen habe, kann ich dich beruhigen. Ich habe jede Nacht acht Stunden in meinem Bettchen geschlafen.«
    »Freut mich zu hören. Allerdings… ich habe nicht nur diese Nacht gemeint. Ich wollte wissen… na ja, ob es dir insgesamt gut geht hier.«
    War das der gleiche Mann, den sie vor Kurzem noch als so zurückhaltend, geradezu abweisend empfunden hatte? Der sie kaum angesehen und noch weniger angesprochen hatte? Sie konnte sich die Veränderung nicht erklären. Okay, vielleicht gehört er zu den vorsichtigen Typen, die sich ihr Gegenüber erst einmal genau ansehen, bevor sie sich darauf einlassen. Vielleicht wollte er aber auch seiner Frau einen Gefallen tun, mit der Laura sich inzwischen so gut verstand. Könnte ja sein, dass Elke ihn darum gebeten hatte, doch weniger kühl zu ihr zu sein. Aber war er ein Mann, der prompt tat, was seine Frau von ihm erwartete?
    »Sag mal, hast du Julia eigentlich auch gekannt?«
    Marius hatte Mühe, den Teller, den er gerade in die Spülmaschine stellen wollte, festzuhalten. Er schlug scheppernd gegen das Geschirr, das er schon eingeräumt hatte.
    »Julia? Natürlich habe ich sie gekannt. Nicht sehr gut allerdings. Wir haben uns nur ein paar Mal getroffen. Wieso fragst du?«
    »Ich weiß nicht… Ich frag’ mich halt nur manchmal, wie sie gewesen ist.« Sie hörte genau, wie gezwungen ihr Lachen klang. »Ist doch normal, dass man neugierig ist auf seine Vorgängerin, oder?«
    »Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist sie es nicht wert, dass du dir den Kopf über sie zerbrichst. Sie war nicht die Richtige für Jan. Ganz im Gegensatz zu dir.«
    »Ist es auch normal, dass er mir nicht von ihr erzählen wollte? Ich frag mich manchmal, was da wirklich passiert ist zwischen den beiden.«
    Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken immer wieder zu der Frau schweiften, die vor ihr mit Jan hier gelebt hatte. Sicher, es war nur für eine sehr kurze Zeit gewesen. Aber es wunderte sie schon, dass sie so gar keine Spuren hinterlassen hatte.
    »Kennst du das Parfum Shalimar?«
    Augenblicklich fuhr es Marius in den Magen. Er hasste diesen Duft. Er war zu schwer, zu intensiv, drängte sich zu sehr in den Vordergrund. Er wusste, dass Laura dieses Parfum benutzte. Auch heute Abend hatte er es sofort gerochen, als sie ihn begrüßt hatte, und wäre am liebsten auf der Stelle wieder umgekehrt.
    »Nie gehört. Ist es das, was du benutzt?«
    »Ich schon. Aber anscheinend auch jemand anders.«
    Sie erzählte ihm, dass sie ein Fläschchen des Parfums gefunden hatte und perplex darüber gewesen war, eben, weil sie es auch benutzte.
    »Wär doch ein komischer Zufall, wenn Julia dieses Parfum auch benutzt hätte. Ich meine, man könnte ja denken, dass Jan nur deshalb auf mich abgefahren ist, weil ihn das Parfum an seine letzte Liebe erinnert hat.«
    »Jetzt mach aber mal einen Punkt. Jan liebt dich. Und ganz sicher nicht, weil du einen bestimmten Duft benutzt. Das ist doch ausgemachter Blödsinn.«
    War es das wirklich? Konnte es nicht sein, dass sich Jan durch Laura an Julia erinnert fühlte? Dass er sich, möglicherweise ja unbewusst, in sie verliebt hatte, weil er in ihr so etwas wie eine Wiedergängerin der Frau fand, die er geliebt und die ihn verlassen hatte?
    Aber vielleicht war es ja wirklich nicht Julia gewesen, die das Parfum benutzt hatte. Vielleicht hatte ein Gast das Fläschchen im Haus vergessen. Das Fläschchen, das sie zweimal ganz deutlich gesehen hatte, aber danach nicht mehr hatte finden können.
    Sie stellte die Schälchen mit dem Kompott auf ein silbernes Tablett, füllte noch eine Etagere mit Keksen und winzigen Pralinen. Als sie sich umdrehte, um sie auf das Tablett zu stellen, erschrak sie über den Blick, mit dem Marius sie ansah. Es lag etwas in seinen Augen, das sie nicht deuten konnte. Eine Spur von Angst vielleicht? Oder Besorgnis?
    »Kannst du mir bitte noch die Zuckerdose reichen?«
    Sie griff daneben, als Marius ihr über den Tisch hinweg die silberne Jugendstildose hinhielt.
    »O Gott, das tut mir leid. Ich dachte, du hättest sie schon.«
    Marius kniete schon am Boden und versuchte, den Zucker, der sich über die Fliesen verteilt hatte, mit den Händen zusammenzuschieben. Sie holte die Kehrschaufel.
    »Lass mich das machen.«
    Als sie sich niederkniete, verlor sie für einen Augenblick das Gleichgewicht. Sie schrie leise auf.

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