Das Jahr der Kraniche - Roman
Bestimmt liegt sie jetzt im Bett und…«
»Wer ist Julia?«
Das war neu. Mike sah Jette perplex an.
»Sag du es mir. Du kennst sie besser als ich.«
Ihre Augen waren so klar wie schon lange nicht mehr. Sie wischte sich die Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Sie heißt Laura, nicht Julia. Das weißt du doch, Mike. Ich muss auf Laura aufpassen. Ich muss aufpassen, dass ihr nichts passiert.«
Der Hund raste in das dunkle Haus, durch die Halle, die Treppe hinauf. Jan hörte ihn erst winseln, dann leise bellen und an der Tür kratzen. War Laura schon im Bett? Es war doch erst kurz nach neun. Er nahm zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe hinaufeilte. Dabei riss er das Papier von dem Rosenstrauß. Shadow sah ihn fragend an, als er hinter ihm auftauchte. Er senkte die Nase an die Türschwelle, sog und schnaubte, sah Jan wieder an.
»Leise, Alter, Frauchen schläft schon.«
Behutsam öffnete er die Tür. Das Schlafzimmer war dunkel. Bevor er den Hund daran hindern konnte, stürmte er ins Zimmer.
»Shadow, lass das. Ja, ich freu mich ja auch, dass du wieder da bist.«
Jan machte das Licht an. Das Bild, das sich ihm bot, war einigermaßen absurd. Der große Hund lag auf Laura, die tatsächlich schon im Bett lag, und versuchte, ihr stürmisch über das Gesicht zu schlecken. Sie wehrte ihn lachend ab, doch ihre Versuche, ihn vom Bett zu schieben, blieben vergeblich.
»Raus aus meinem Bett. Jetzt lass das, Shadow.«
Jan zog den Hund am Halsband vom Bett.
»Danke. Du bist mein Retter.«
Laura setzte sich auf und lächelte Jan an. Täuschte er sich, oder war sie ziemlich blass?
»Tut mir leid, dass wir dich geweckt haben.«
Sie kuschelte sich in seine Arme, barg den Kopf an seiner Brust.
»Gar nicht schlimm. Ich freu mich, dass ihr wieder da seid.«
Er drückte ihr die Rosen in die Arme.
»Geht es dir nicht gut? Oder hast du so viel gearbeitet, dass du jetzt schon schlafen musst?«
»Ich hab den ganzen Tag im Garten gewerkelt, und dann bin ich wie tot ins Bett gefallen. Zu viel frische Luft wahrscheinlich.«
»Ich sag doch, du sollst es langsamer angehen lassen. Du wirst dich noch übernehmen, Liebes.«
»Ich bin ganz schön zäh.«
Wie gut er sich anfühlte. Wie wundervoll, dass er wieder da war.
»Habt ihr alles bekommen, was ihr wolltet?«
»Tausend Eichenschösslinge, fünfhundert kleine Buchen. Und für dich, wie gewünscht, einen Ginkgo. Nächsten Donnerstag wird alles geliefert.«
»Klingt super. Aber ihr werdet die Schösslinge doch nicht allein einpflanzen, Hanno und du?«
»Hanno kennt ein paar Arbeiter, die wir dafür anstellen werden. Es wird alles ganz schnell gehen. Und natürlich werde ich mitarbeiten.«
Das Leben im Jägerhaus hatte so etwas Normales bekommen. Sie hatten jetzt das, was man Alltag nannte. Jan arbeitete an seinen Entwürfen und kümmerte sich um seinen Besitz. Und sie sah zu, dass Haus und Garten in Ordnung waren und dass ihr Mann immer was Ordentliches zu essen bekam.
»Was ist? Wieso runzelst du die Stirn?«
Sie hatte nicht gemerkt, dass sie ihre Augenbrauen zusammengezogen hatte, als sie daran dachte, wie ihr Leben aussah. Aber das war kein Wunder, denn im Grunde fühlte sie sich nicht richtig ausgelastet.
»Sag mir, woran du gedacht hast. Ist irgendetwas passiert, während ich weg war?«
»Was sollte hier schon passieren? Doch, warte, ich habe beobachtet, wie ein Kranichjunges die weite Welt erobern wollte. Plötzlich schwamm da so ein gelbes Flaumbüschel von der Insel weg. Ich habe es erst für ein Entenküken gehalten. Aber dann ist die Kranichmutter gekommen und hat das Kleine mit Schnabelstößen zurück zur Insel gelenkt. Wahrscheinlich war es ziemlich enttäuscht, dass sein erster Ausflug in die Welt schon so schnell endete.«
Jan lachte leise.
»Meine kleine Naturforscherin.«
»Lach mich nicht aus. Hast du vielleicht gewusst, dass Kranichbabys schwimmen können?«
Es hatte sie gerührt, wie aufgebracht der alte Kranich war, als sich sein Junges selbstständig machen wollte. Sein Gurren, mit dem er das Kleine wieder auf die Insel lockte, war über den See zum Steg geweht, auf dem sie sich nach dem Schwimmen getrocknet hatte. Zu gern wäre sie zur Insel geschwommen und hätte die Kraniche einmal aus der Nähe beobachtet, aber Jan hatte ihr verboten, die Insel zu betreten.
»Die Kraniche sollen nicht gestört werden, wenn sie Junge haben.«
Sie hatte das verstanden. Aber heimlich dachte sie, dass sie doch eines Tages einfach zur Insel schwimmen würde.
Weitere Kostenlose Bücher