Das Jahr der Kriesen
auf die Stirn. »Passen Sie auch auf sich auf, sagte er, dann ging er mit Phil Danville und Dorothy Gill weiter.
Nach einer Weile sagte Phil: »Was werden Sie tun, Jim?«
»Nichts. Was kann ich schon tun? Warten Sie, ich rate. Meinen Drink nehmen.«
»Sie werden sich schützen müssen«, sagte Dorothy Gill. »Wenn Ihnen etwas passiert – was sollen wir dann tun? Der Rest von uns?«
Jim Briskin sagte: »Die Auswanderung wird es dennoch geben, auch ohne mich. Ihr könnt noch immer die Schläfer wecken. Wie es in Bachs Kantate Nr. 140 heißt: ›Wachet auf. Schläfer erwachet!‹ Das wird von jetzt an eure Losung sein müssen.«
»Dort ist die Bar«, sagte Phil Danville. Vor ihnen hielt ein Chicagoer Polizist die Tür für sie auf, und sie traten einzeln ein.
»Es war verdammt nett von dem Mädchen, mich zu warnen«, sagte Jim Briskin.
Eine Männerstimme dicht neben ihm sagte: »Mr. Briskin? Ich bin Lurton Sands jr. Vielleicht haben Sie in letzter Zeit in den Vidblättern von mir gelesen.«
»O ja«, sagte Jim, überrascht, ihn zu sehen. Er streckte ihm die Hand zur Begrüßung hin. »Ich freue mich, Sie zu treffen, Dr. Sands. Ich möchte...«
»Darf ich reden, bitte?« sagte Sands. »Ich habe Ihnen etwas zu sagen. Ihretwegen ist mein Leben und die humanitäre Arbeit zweier Jahre ruiniert. Antworten Sie nicht – ich werde mich von Ihnen nicht in eine Diskussion verwickeln lassen. Ich sage es Ihnen einfach, damit Sie verstehen, warum.« Sands griff in seine Manteltasche. Jetzt hielt er eine Laserpistole direkt auf Jim Briskins Brust gerichtet. »Ich verstehe nicht ganz, was an meiner Hingabe für die Kranken Sie beleidigt hat und Sie veranlaßte, sich gegen mich zu wenden, aber alle haben das getan, warum also nicht auch Sie? Schließlich, Mr. Briskin: Welch bessere Lebensaufgabe konnten Sie sich stellen, als die meine zu ruinieren?« Er drückte den Auslöser der Pistole. Die Pistole schoß nicht, und Lurton Sands starrte voller Unglauben darauf hinunter. »Myra, meine Frau.« Es hörte sich fast entschuldigend an. »Wahrscheinlich hat sie die Energiepatrone herausgenommen. Vermutlich, weil sie dachte, ich würde versuchen, die Pistole gegen sie zu gebrauchen.« Er warf die Waffe weg.
Nach einer Pause sagte Jim Briskin heiser: »Und nun, Doktor?«
»Nichts, Briskin. Nichts. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich die Waffe überprüft, aber ich habe mich beeilen müssen, um hierherzukommen, bevor Sie abreisten. Das war eine ziemlich heroische Rede, die Sie gehalten haben. Sicher wird sie den meisten Leuten den Eindruck vermitteln, daß Sie danach streben, die Probleme der Menschen zu vermindern – obgleich Sie und ich es natürlich besser wissen. Übrigens – Ihnen ist doch wohl klar, daß sie nicht alle Flakkies aufwecken können. Sie können dieses Versprechen nicht erfüllen, weil einige tot sind. Ich bin dafür verantwortlich. Grob geschätzt trifft das auf etwa vierhundert von ihnen zu.«
Jim Briskin starrte ihn an.
»Das ist die Wahrheit«, sagte Sands. »Ich hatte Zugang zu den Lagerhäusern des Amtes für Spezielle Öffentliche Wohlfahrt. Wissen Sie, was das heißt? Jedes Organ, das ich genommen habe, hat einen toten Menschen geschaffen – wenn die Zeit für sie gekommen ist, wiederbelebt zu werden, wann immer das sein mag. Aber ich denke, der Trumpf muß früher oder später ausgespielt werden, nicht wahr?«
»Das würden Sie tun?« sagte Jim Briskin.
»Ich habe es getan«, berichtigte Sands. »Aber denken Sie daran: Ich habe nur potentiell getötet. Wohingegen ich andererseits jemanden sofort gerettet habe, jemanden, der in der Gegenwart präsent und lebendig ist, jemanden, der völlig von meinem Können abhängig war.«
Zwei Chicagoer Polizisten schoben sich an ihn heran. Dr. Sands wich gereizt zurück, aber sie ließen sich nicht abschütteln: Sie nahmen ihn in ihre Mitte und hielten ihn fest.
Phil Danville war bleich und sagte: »Das... das wäre es fast gewesen, Jim. Oder?« Er trat absichtlich zwischen Jim Briskin und Dr. Sands, um Briskin abzuschirmen. »Wiedererlebte Geschichte.«
»Ja«, brachte Jim heraus. Er nickte, sein Mund war trocken. Er fühlte sich tief resigniert. Nachdem es Lurton Sands also nicht geschafft hatte, würde es sicher ein anderer schaffen, wenn er nur genügend Zeit hatte. Die Waffentechnologie hatte sich in den letzten hundert Jahren zu sehr verbessert. Jeder wußte das, und heutzutage mußte der Mörder nicht einmal in seiner näheren Umgebung sein.
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