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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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kommt.«
    »Meine Güte«, brummt jemand, vielleicht Cobos. »Fünfundvierzig beschissene Sekunden, Matty?« Aber die anderen sind klug genug zu wissen, daß sie keine einzige dieser Sekunden mit Gemecker verschwenden sollten, und schaufeln sich das Essen in die Luke, während Mattison auf die Uhr schaut. In der dreiundfünfzigsten Sekunde – im Grunde ist Mattison nämlich ein barmherziger Mensch – erklärt er ihnen, das Frühstück sei vorbei und sie müßten sich an die Arbeit machen.
    Die Lava-Anzüge sind im Erdgeschoß untergebracht, in einem Raum, der vom Hauptflur abgeht und früher vielleicht einmal eine elegante, vertäfelte Bibliothek gewesen ist. Die Überreste der Vertäfelung sind noch vorhanden, Rechtecke aus Mahagoni oder einem anderen edlen Holz, aber die Paneele sind kaum noch zu sehen, weil der Raum praktisch bis zum letzten Quadratzentimeter mit leuchtend bunten Lava-Anzügen vollgestopft ist, die Ellbogen an Ellbogen und von Wand zu Wand aufrecht dastehen wie eine stumme Versammlung auf ihre Aktivierung wartender Roboter.
    Die Anzüge sind im Grunde Ein-Mann-Körperpanzer: feste, robuste Hüllen aus hochreflektivem Melnar, ausgerüstet mit Schuhsohlen aus Traktorenreifen, Schaufelfortsätzen, Lasermessern und allen möglichen anderen Hilfsutensilien. Fabriken in Wichita und Atlanta sind heutzutage rund um die Uhr damit beschäftigt, sie zu produzieren, und die Bundesregierung trägt die nicht unbeträchtlichen Kosten im Rahmen des laufenden Katastrophenhilfsprogramms, das Los Angeles’ neueste und spektakulärste Katastrophe ins Leben gerufen hat. Mattison fragt sich manchmal, warum man es für sinnvoll gehalten hat, fünfzehn oder zwanzig dieser extrem teuren Anzüge in jedem Citizens Service House einen Großteil der Zeit ungenutzt herumstehen zu lassen, obwohl es doch weitaus effektiver wäre, die Anzüge in einem zentralen Lager am Rand der Zone aufzubewahren, wo sie täglich an die Crew ausgegeben werden könnten, die gerade im Einsatz ist. Aber er hat sich nie die Mühe gemacht, diese Frage mit jemandem zu erörtern, denn er weiß, daß die Wege der Bundesregierung häufig unerforschlich sind und das Begriffsvermögen normaler Sterblicher übersteigen; und die Anzüge sind ohnehin gekauft und bezahlt und schon da.
    Es gibt sie in zwei Größen: unförmig und noch unförmiger. Mattison zerrt die nächsten drei Anzüge auf den Flur heraus und gibt sie Leuten mit der passenden Statur, so daß die anderen Platz haben, in den Lagerraum hineinzugehen und für sich Anzüge auszusuchen. Wie üblich geht das nicht ohne Gerempel, Geschubse und Gejammer ab. Herb Evans ist kaum groß genug für den größeren Anzug und wäre mit dem kleineren, in dem er sich weniger unbeholfen bewegen könnte, vielleicht besser bedient; aber er will immer einen großen haben, und denjenigen, den er jetzt umklammert, hat auf der anderen Seite auch Marcus Hawks gepackt, der eins neunzig groß ist und deshalb eher Anspruch darauf hat. »Ich hab ihn zuerst gehabt«, schreit Evans. Hawks läßt nicht los, sondern sagt: »Geh und hol dir einen, der die richtige Größe für dich hat, du blödes kleines Arschloch«, und Mattison sieht sofort, daß die beiden bereit sind, so etwa für die nächsten drei oder vier Stunden mit zäher Energie auf ihren jeweiligen Positionen zu beharren. Er ist nicht überrascht: Die Bewohner der Citizens-Service-Häuser sind in aller Regel nicht mit sehr viel Gemeinsinn ausgestattet, aber das machen sie häufig dadurch wett, daß sie extrem zänkisch und nachtragend sind. Sie haben nicht die Zeit, Evans und Hawks die Sache austragen zu lassen; Mattison geht dazwischen, entwindet Evans sanft, aber bestimmt den einen Arm des Anzugs, Hawks den anderen, und schickt die beiden in entgegengesetzte Richtungen, damit sie sich neue Anzüge besorgen. Den großen behält er für sich selbst und geht damit auf den Flur hinaus, um ihn anzuziehen.
    »Sobald ihr eure Anzüge anhabt«, brüllt Mattison, »geht ihr raus und steigt in den Wagen, aber dalli!«
    Er zwängt sich unter Schwierigkeiten in seinen. Tatsächlich ist er sogar für den größeren Anzug ein bißchen zu groß, rund vier Zentimeter zu lang und zehn oder zwölf Zentimeter zu breit in den Schultern, aber wenn er sich ein bißchen zusammenkrümmt, geht es einigermaßen. Er kann ja unmöglich daheim bleiben, wenn das Silver-Lake-Haus zum Lavadienst gerufen wird, und er kennt keine Schneider, die Lava-Anzüge ändern.
    Der große, olivgrüne

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