Das Jahr der Maus
ungebärdige Magmastrom, der bereits einen großen Brocken von Southland im Griff hat, nicht noch weiter ausbreitet.
Die Dispatcher in der Vulkanzentrale in Pasadena entscheiden darüber, wann sie die Leute vom Citizens Service dazuholen. Die Vulkanzentrale, ein Zweig des seismologischen Labors der Cal Tech mit dem Hauptquartier auf dem Gelände des Jet Propulsion Laboratory in den Hügeln nördlich der Stadt, überwacht die gesamte tektonische Zone mit einem breiten Sortiment von Bodensensoren und Satellitenscannern, und während die hochgekommene Magmablase unter dem San Gabriel Valley herumwandert, versucht sie, einen Überblick über die Geschehnisse zu behalten und sich nach Möglichkeit sogar einen kleinen Vorsprung zu verschaffen.
Jeder neue Ausbruch, sei es eine simple Rauchwolke, die aus einer neuen kleinen Fumarole aufsteigt, oder ein ausgewachsenes Sperrfeuer aus Tephra, vulkanischen Bomben und glutheißer Lava aus einem neuen Höllenschlund, wird brav von JPL-Computern notiert, welche die unzähligen, überall in der Stadt aufgestellten Datenbildschirme wie jenen über Cal Mattisons Schreibtisch im Gemeinschaftsraum des Silver Lake Citizens Service House fortwährend mit den neuesten Daten versorgen. Es ist auch die Aufgabe der Vulkanzentrale als Hauptplanerin der Gegenoffensive, die entsprechende Hilfe anzufordern. Zuerst natürlich die Feuerwehr: Die ist mittlerweile erheblich ausgebaut und auf regionaler Basis umorganisiert worden, was nicht ohne eine Menge politische Grabenkämpfe und allgemeinen Ärger abgegangen ist. Die Feuerwehrleute werden nach einen System konzentrischer Kreise gerufen, das sich von der Zone selbst bis nach Santa Barbara und Laguna Beach erstreckt. Ihre Aufgabe besteht wie üblich darin, die Zerstörung von Eigentum durch die Ausbreitung der Brände aus den betroffenen Gebieten auf die Viertel drum herum zu verhindern. Als nächstes alarmiert die Vulkanzentrale die Divisionen der Nationalgarde, die in der Region in ständiger Alarmbereitschaft gehalten werden; und wenn bei einem Notfall selbst die Kräfte der Garde nicht mehr ausreichen, werden die Leute von den Citizens-Service-Häusern dazugeholt, zusammen mit allerlei anderen zivilen Freiwilligengruppen, die in Lava-Eindämmungstechniken ausgebildet sind.
Mattison hat zwar keine Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, ob es stimmt, aber er glaubt, daß das Silver-Lake-Haus mindestens doppelt so oft gerufen wird wie alle anderen Citizens-Service-Häuser, die er kennt. Da könnte er tatsächlich recht haben. Das Silver-Lake-Haus liegt an einer günstigen Stelle, praktisch im Schatten des Golden State Freeway: Wenn seine Bewohner gerufen werden, können sie auf diesem Freeway leicht zu der einen oder anderen Kreuzung gelangen und auf dem Ventura Freeway zum oberen Ende der Zone oder auf dem San Bernardino Freeway zu deren südlichem Ende rasen, während die Leute aus dem Mar-Vista-Haus, dem in West Hollywood oder in Gardena einen viel weiteren Weg zurücklegen müßten.
Aber es liegt nicht nur am Nähe-Faktor. Mattison denkt – und der Gedanke gefällt ihm –, daß seine spezielle Reha-Truppe an der Lavafront merklich effektiver ist als die Leute aus den anderen Häusern. Sie haben ihre Probleme, klar, große Probleme sogar; aber irgendwie reißen sie sich zusammen, wenn sie ihre Ärsche da draußen riskieren, und Mattison ist deswegen unheimlich stolz auf sie. Es könnte auch sein, daß die Vulkanzentrale ihn selbst als eine wertvolle Kraft betrachtet – wegen seiner Größe, der Autorität, die er ausstrahlt, und weil er es geschafft hat, sich am eigenen Schopf aus sehr tiefer Scheiße zu ziehen und seinen gegenwärtigen halbwegs respektablen Status zu erreichen. Aber Mattison hält sich nicht sehr lange mit solchen Überlegungen auf. Er weiß nur zu gut, daß man sich meistens bloß den Arm ausrenkt, wenn man sich selber auf die Schulter klopfen will.
Jedenfalls klingelt die Glocke. Es geht also wieder los.
»Können wir wenigstens noch zu Ende frühstücken?« will Herzog wissen.
Mattison wirft einen Blick auf den Bildschirm. Dort blinken sieben oder acht dieser grün-gelben Flecken. Er übersetzt die kühlen Abstraktionen des Bildschirms in das Inferno, das wahrscheinlich gerade eben in Arcadia ausgebrochen ist, und sagt mit einem Blick auf seine Armbanduhr: »Stopft in den nächsten fünfundvierzig Sekunden so viel wie möglich in euch rein. Dann setzt eure Ärsche in Bewegung und macht, daß ihr zum Ankleideraum
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