Das Jahr der Maus
nieder, schlug Löcher in unsere Hütte. Ich biß, kratzte und zerrte an dem Weltenbaum, fügte ihm hundert winzige, harmlose Wunden zu. Ich ließ mich auf den Waldboden fallen und kickte meine Längengerade aus Humustürmchen auseinander. Brüllend und an meinem Fell reißend wälzte ich mich in dem weichen Kompost.
Blutend, eine Schmutzfahne hinter mir herschleifend, sauste ich in die Baumkrone zurück. Ich drehte mich um einen Ast – die sterbende Sonne, der verhaßte Weltenbaum, der Komet, alles kreiste um mich herum –, dann ließ ich abrupt los und flog hoch in die Luft. Ein paar Sekunden lang, als ich den höchsten Punkt erreichte, schwebte ich mit offenem Mund und weitausgestreckten Gliedern zwischen dem Ball aus Blattwerk und der Sonne; der Komet füllte meinen Horizont aus und strahlte gleitender denn je.
Ich preßte meine Segel dicht an meinen Körper.
Als ich nach unten stürzte, zerrte der Wind an meinem Fell; ich wünschte mir, das Unmögliche würde geschehen – und ich beim Aufprall sterben.
Wieder lag ich auf dem Rücken und blickte zu der angeschwollenen Sonne hinauf. Georges Gesicht schob sich über das meine; er sah ängstlich und besorgt aus.
Ich versuchte ihn anzulächeln. Etwas Hartes um meinen Mund – Blut – platzte ab. »Es hat nicht geklappt. Was, George?«
Er hob die Schultern und machte einen verlegenen Eindruck. »Du bist zu leicht, Mr. Beard. Tut mir leid. Deine Fallgeschwindigkeit hat nicht annähernd gereicht. Allerdings hast du genug Radau gemacht, als du durch das Blätterdach krachtest.«
Mühsam rappelte ich mich hoch. George bückte sich und schob seine Arme unter meine Achselhöhlen. »Entschuldige, daß ich dir solchen Kummer bereite, George.«
»Ich bin froh, daß du wieder wach bist.« Er kauerte sich neben mich und hob den Kopf; in dem roten und silbernen Licht sah sein Gesicht aus wie eine Münze. »Ich glaube, gleich ist es soweit; es wäre ein Jammer gewesen, wenn du das verpaßt hättest.«
»Was soll denn passieren?«
»Das Ereignis, dessen Zeuge wir sein sollen. Seit Tagen wird der Komet immer heller. Ich glaube, wir erreichen einen kritischen Punkt …« Er brachte mir Beeren. Seite an Seite hockten wir in dem Dickicht aus Laub und Ästen, einen Kometen anstarrend, dessen Schweif flatterte wie eine Fahne im Wind.
Es geschah ganz plötzlich.
Der Kopf des Kometen schwoll an – und explodierte; silbernes Feuer ergoß sich über unsere Baumwelt. Wir schrien auf und warfen uns in die Blätter; unter unseren hochgezogenen Segeln hervorspähend beobachteten wir den wildgewordenen Himmel.
Innerhalb von Minuten verblaßte das Inferno, und zurück blieben nur Schwaden, die im Licht der Sonne rosarot glühten. Wo sich der Kopf des Kometen befunden hatte, trieb jetzt eine Handvoll feuriger Felsbrocken. Der prachtvolle Schweif, seines Kerns beraubt, der ihn mit Energie speiste, löste sich bereits auf.
George und ich kuschelten uns bibbernd aneinander. »Was, zum Teufel, war das?« flüsterte ich.
»Der Tod eines Kometen«, wisperte George. »Die Planeten wurden schon von der Sonne zerstört; nun verströmt sie genug Hitze, um die Kometen verdampfen zu lassen. Bald wird sich rings um die Sonne eine Hülle aus Wassermolekülen sammeln. Zu unserer Zeit entdeckten Astronomen in den Spektren von Roten Riesen Wasserlinien …« Er wickelte sich enger in seinen Fellumhang ein. »Das ist der endgültige Tod des Sonnensystems, verstehst du, Mr. Beard? Deshalb brachten uns die Schöpfer hierher, als Augenzeugen gewissermaßen. Wir sollten dieses Schauspiel auf unsere Weise miterleben.«
Mittlerweile verdunkelte nur noch das trübe Sonnenlicht die Sterne – aber da und dort konnte ich Objekte ausmachen, die größer als die Sterne waren, rotgrüne Flecken, wie entfernte Spielsachen. Ich zeigte sie George. »Was könnte das sein? Weitere Beobachter?«
George zuckte die Achseln. Ich betrachtete die rätselhaften Gebilde und fragte mich, was für seltsame, verstörte Wesen, genauso unbeholfen rekonstruiert wie wir, sich dort unter dem außer Rand und Band geratenen Himmel ducken mochten.
»Wie dem auch sei«, meinte George. »Was unternehmen wir als nächstes?«
Ich hob die Schultern und zupfte an einem Blatt. »Wie lange wird es noch dauern, bis die Sonne auch uns verschlingt?«
Er furchte die Stirn. »Ich glaube nicht, daß es dazu kommen wird. Auf irgendeine Weise müssen wir geschützt sein. Andernfalls hätte das Sonnenlicht, das den Kometen zu Dampf
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