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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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wiedergeben.
    »Hey, Tora«, grüßte Eamon lässig. Er war tiefgebräunt. »Hallo, Mädels. Was treibt ihr denn so?«
    »Hallo, Eamon«, erscholl es im Chor.
    »Auf den Kuchen solltet ihr lieber verzichten. Ihr seid dick genug.«
    »Ich denke, du magst mollige Frauen«, konterte Tora.
    »Hoho, hehe!« intonierten die Frauen, als hätte jemand einen zweideutigen Witz gerissen.
    »Kommt ganz darauf an, wo die Pölsterchen sitzen«, erwiderte Eamon und rückte seine Sonnenbrille zurecht.
    »Na, na!« zierten sich die Weiber.
    Tora stürzte sich auf Billie und packte sie bei den Armen. Als sie fest zudrückte, merkte sie vielleicht, daß sie wirklich so stockdürr waren wie sie aussahen. »Eamon, ich möchte dir eine Neue vorstellen.«
    Eine Neue! Billie drehte sich um. Eine Neue. Bildete sich dieses Frauenzimmer etwa ein, sie würde Eamon besitzen?
    »Das ist doch Billie«, erwiderte Eamon. »Ich kenne sie. Hey, Billie, wie geht es dir?«
    »Das hätte ich mir denken können«, murmelte Tora mit schmalen Augen und lächelte andeutungsweise. »Tut mir leid.«
    »Hallo«, sagte Billie verlegen. »So begrüßen wir uns doch immer, stimmt’s?«
    Aus irgendeinem Grund fand Toras Clique das furchtbar witzig – sie gackerten los, um gleich wieder zu verstummen. Es klang gekünstelt. Billie kam sich betrogen vor. Die Geräte waren alle über den Transceiver vernetzt. Sie kommunizierten miteinander, damit jeder einzelne Programmbenutzer seine Illusionen behalten konnte.
    Und dafür war sie auch noch dankbar!
    Tora blies die Kerzen auf dem Kuchen aus. Eamon konnte es ja nicht selbst tun.
    »Sing uns was vor, Eddie!« rief eine Frau.
    »Ja, sing für uns!« Vor Begeisterung sprang eine Frau in die Höhe. Sie hatte eine vierschrötige Figur, trug ein blau-weiß gemustertes Kleid und dazu eine Perlenkette. Billie kam alles so sinnlos vor.
    »›Basic Blue‹!«
    »Hoo! Jaa! ›Basic Blue‹, Eamon!«
    Eamon schob die Sonnenbrille auf den Nasenrücken und fing mit schmelzendem Tenor an zu gurren. Plötzlich begriff Billie, was los war, was mit allen von ihnen gespielt wurde.
    »Tora«, sagte sie, »ich glaub, ich muß mich übergeben.«
    Tora warf ihr einen Blick zu, als hätte Billie mit dieser Bemerkung ihre Clique kritisiert. Billie ließ ihr Glas mit dem Punsch fallen. Die Knie gaben unter ihr nach, und sie fühlte sich hundeelend. Die Vierschrötige in dem blauweißen Kleid fing sie auf.
    »Ach Herzchen, Schätzchen«, jammerte Tora ehrlich besorgt.
    Die Frauen halfen beflissen. Man legte Billie auf den Fußboden.
    »Armes Ding«, meinte Tora tiefbewegt. »Sie war immer sein größter Fan.«
    Jemand rief in Richtung des Bildschirms: »Eddie? Eddie, könntest du mal mit Singen aufhören? Eine ist umgekippt.«
    »Sonst ist noch nie jemand ohnmächtig geworden«, bemerkte eine magere, ungepflegt aussehende Blondine am Rand der Gruppe. Sie schien den Vorfall ein bißchen komisch zu finden.
    »Wir bringen sie zum Klo«, schlug Tora vor.
    Sie schleppten sie ins Bad. Man streichelte ihr übers Haar und nannte sie Liebling, während sie traditionelle irische Kräuter auskotzte. Billie war alles egal.
    Sichselbstprogrammierende Software. Diese Typen kennen uns. Sie präsentieren sich so, wie wir sie haben wollen. Jeder Haushalt bekommt seinen ganz speziellen Eamon, mal ist er ein häßlicher Mönch, mal ein kecker kleiner Hallodri im Hawaii-Hemd.
    Aber keiner davon ist der richtige Eamon Strafe.
    »Ich finde, wir sollten sie für ein paar Minuten alleinlassen«, meinte Tora und scheuchte die anderen Frauen hinaus.
    Billie lag auf dem weichen, pinkrosa Langflorteppich und dachte: Ich sterbe. Ich sterbe innerlich ab. Von fern hörte sie Eamon singen. Du hast dich wirklich atomisiert, Eamon. Indem du alle erreichen wolltest, hast du so an Substanz verloren, daß du dich wie ein hauchfeiner Film über die ganze Welt legen könntest; als Schleier, der immer dünner wird.
    Billie rappelte sich hoch, ehe jemand zurückkommen konnte. Auf wackeligen Beinen verließ sie das Bad und schlich sich in die Diele, wo ihr Mantel hing. Sämtliche Frauen umringten den Bildschirm, hielten einander umschlungen wie die Welpen in dem Film Einhundertundein Dalmatiner. Sie lauschten so hingerissen wie der Hund auf dem Plattencover.
    Ohne sich zu verabschieden, ohne Dankeschön zu sagen, stahl Billie sich auf Zehenspitzen nach draußen und zog die Tür so sachte hinter sich zu, als bestünde das Haus aus Porzellan. Sie rannte die Straße hinunter, wobei sie

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