Das Jahr der Maus
könnte diesen Berg mit eigenen Augen sehen, aber ich fürchte, Du bist der einzige Mann, der mich dorthin entführen könnte.
In Liebe
Billie.
Fünfundsiebzig Briefe. Allein das Porto belief sich auf fast vierzig Pfund. Verglichen damit war die CD ein Schnäppchen gewesen. Sie mußte sich etwas Neues einfallen lassen. Was nun, Billie? Du besitzt einen Computer, der das Unternehmensrecht in- und auswendig kennt, und du kannst dich in die meisten Dateien einklinken. Du weißt doch, wie so etwas geht.
Vor Jahren hatte sie versucht, sich mit einem Geschäft für Töpfereiwaren selbständig zu machen, doch dauernd gab es Scherereien mit dem Finanzamt oder wenn jemand ihre Kreditwürdigkeit überprüfte. Sie wollte es Folio Crafts nennen, nach Shakespeare; also hatte sie es im Registerbüro als Folio angegeben und sich selbst als Alleineigentümerin. Aber irgendwo war etwas schiefgelaufen.
Jemand hatte sie als Polio Crafts ins Handelsregister eingetragen. Das F einfach durch ein P ersetzt. Vielleicht dachte man, es handele sich um eine karitative Einrichtung für die Opfer von Kinderlähmung. Billie ging ein Auftrag durch die Lappen, weil jemand ihre Firma überprüfen wollte und erklärte, daß es diesen Betrieb gar nicht gäbe. Billie mußte in den Archiven nachforschen, um ihr eigenes Unternehmen zu finden. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie man bei derartigen Recherchen vorging.
Billie kramte sämtliche der alten CDs hervor. Sie waren so ungefähr das einzige, was sie von ihrem alten Zuhause mitgebracht hatte. Sorgfältig studierte sie das Kleingedruckte, besonders die superfeine Schrift auf den handflächengroßen Cassettenhüllen.
Herausgegeben von Sony International, eine Memison Produktion, für Spirit Management. Sämtliche Titel von Eamon Strafe durch Songfeast International, mit freundlicher Genehmigung von Haskell Inc.
Na klar, du warst ja bloß ein schlichter irischer Mönch, was?
Dun and Bradstreet konnte sich Billie nicht leisten. Sie stöberte im Financial Times Profiles. Dort fand sie Haskell Inc., zu der zwei Konzerngesellschaften gehörten, eine in Großbritannien und Haskell NV in den Niederlanden. Als sie in der Datenbank für ausländische Firmen nachforschte, stellte sie fest, daß Anteile von NV einer riesigen holländischen Firma für elektronische Geräte gehörte. Es gab auch Haskell Arts Ltd, die britische Tochtergesellschaft von NV. Keine der Firmenkennzeichnungen ergab einen Sinn. NV bezeichnete sich selbst als Hardware-Entwickler, schien aber weder Design zu verkaufen oder Geräte herzustellen. Die britische Gesellschaft hatte sich darauf spezialisiert, Multimedia-Artikel zu vertreiben, was immer man darunter verstehen sollte.
Sackgasse.
Sie suchte nach einer kleinen Firma, und wenn es nur ein Büro war, wo Eamon Strafe irgendwann einmal persönlich auftauchen würde.
Sie ließ den Computer sämtliche Telefonverzeichnisse Großbritanniens durchgehen. Kein Songfeast International. Kein Spirit Management.
Angenommen, jemand versuchte, Polio Crafts zu finden. Die Firma stand zwar nicht im Telefonbuch, war aber vorschriftsmäßig registriert.
Eine Auskunft über das staatliche Handelsregister kostete einhundert Pfund. Und wenn die Unternehmen nicht in Großbritannien eingetragen waren? Man konnte in den Gesellschaftsregistern der Europäischen Gemeinschaft nachforschen, aber das käme noch teurer.
Natürlich hatte Billie schon von ›Hackern‹ gehört. Wie sie es anstellten, wußte sie nicht, aber ihr war klar, daß sie sich kostenlos Zugang zur Datenfernübertragung verschafften. Codes wurden nach einem mathematischen System ausprobiert, bis einer paßte. Doch als sie den Selbstprogrammierer aufforderte, genau dies zu tun, erhielt sie die Antwort:
DIESE FUNKTION IST NICHT ZULÄSSIG
Elektronische Spionage sollte man also tunlichst vermeiden.
Kein Wunder, daß die Leute so auf Selbstprogrammierer erpicht waren. Etwas sagte ihr, sie müsse den Transceiver herausnehmen, damit ihr niemand auf die Schliche käme. Sie zog die Karte heraus und atmete tief durch. Jetzt war ihr Gerät nicht mehr mit dem Eamon Strafe Netzwerk verbunden. Es enthielt keine Informationen über sie und umgekehrt.
Joey hatte Schulferien und war zu Hause. Mit dem Bus fuhren sie zu einer öffentlichen Leihbücherei. Für die acht Millionen Einwohner Londons waren gerade mal zehn Bibliotheken übriggeblieben. Die nächste lag in Holborn, im alten Daily Mirror Building. Die Fahrt
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