Das Jahr der Maus
jeden Moment damit rechnete, jemand könnte ihr etwas hinterherrufen.
Sie ging zu sich nach Hause und sagte Hallo.
»Du bist nicht Eamon!« schleuderte sie dem Bild vor Wut bibbernd entgegen.
Sie hatte ihn geweckt. Er befand sich in einer Klosterzelle, und an der Wand hing ein hölzernes Kreuz.
»Das ist doch nichts Neues«, entgegnete er schlaftrunken und gereizt.
»Gerade habe ich dich am Strand einer Hotelanlage gesehen. Es könnte in Acapulco gewesen sein. Dieses Zeug programmiert sich selbst. Die Inhalte verändern sich frei nach unseren Wünschen. Der Computer einer Bekannten von mir macht aus dir eine Art Joe Cool.«
»Worüber regst du dich eigentlich auf? Wurmt es dich, daß du mich besitzt, oder daß ich nicht dein ausschließliches Eigentum bin?« Die Frage verblüffte Billie.
»Jeder Künstler paßt sich seinem Publikum an. Wenn ich auf unterschiedliche Leute reagiere, verhalte ich mich nur wie ein Profi.«
»Mit dem richtigen Eamon Strafe hast du nichts zu tun. Ich habe es satt, von Eamon Strafe zu träumen. Ich werde den echten, das Original, suchen. Und dich schalte ich ab.«
Er zuckte die Achseln. »Wie du willst.« Dann knipste er das Licht aus.
Der Bildschirm wurde schwarz. Man hörte das Rascheln von Bettzeug. Durch das geschlossene Fenster der Klosterzelle drang gedämpft das Brausen der Meeresbrandung. Mit einem entschlossenen Knopfdruck setzte Billie der Farce ein Ende.
Am nächsten Tag schrieb Billie an Eamon Strafes Buchverlag.
Lieber Mr. Strafe,
ich bin es leid, mich mit Illusionen abspeisen zu lassen. Meine Zeit ging dabei drauf, Ihre Gedichte zu lesen und Ihre Musik zu hören. Nicht alles, was Sie schreiben, ist gut, doch manches hat mein Leben verändert und mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin.
Sind Sie immer noch so berühmt, daß Sie die Öffentlichkeit scheuen? Ich bin eine reife Person, die Ihnen etwas zu sagen hat, Mr. Strafe. Einmal äußerten Sie, daß Sie Ihren Fans mehr zu geben hätten als eine einstudierte Vorstellung. Ist das wahr? Ich weiß nicht, ob ich Ihnen glauben kann.
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Ihre Billie.
Es kam keine Antwort. Billie scannte das Logo eines Computermagazins ein und druckte sich Briefpapier mit ihrer eigenen Adresse und Telefonnummer aus.
Lieber Mr. Strafe,
wie Sie vielleicht wissen, gehören die Leser von Computer Entanglement zu den fortschrittlichsten und gebildetsten auf dem Gebiet der Computer-Wissenschaft und Technik.
Im Zuge eines von uns geplanten Features über Personality Programming würden wir Sie gern interviewen. Uns interessieren hauptsächlich Ihre Ansichten über die Auswirkungen solcher Programme auf deren Benutzer.
Wenn Sie einem Interview zustimmen oder eventuell Fragen haben, kontaktieren Sie mich bitte unter der o.a. Telefonnummer.
Ihre
Wilhelmina de Vaille.
Keine Antwort. Ein weiterer Brief, dieses Mal per Einschreiben, schlug die Zeit und den Treffpunkt für ein Rendezvous vor. Es sollte vor einem exklusiven japanischen Restaurant in Knightsbridge stattfinden. Billie hatte eine Anfahrt von zwei Stunden dorthin, und obwohl sie ihr bestes Kleid trug, kam sie sich schäbig und armselig vor, während sie draußen wartete.
Der Luxus in den Schaufenstern versetzte ihr einen Schock. Ein gigantischer Pfau aus Glas kostete tausend Pfund. Wer brauchte so etwas? Wo sollte das Ding stehen? Angenommen, Kinder machten ihn kaputt.
Sie harrte aus, bis ihre Füße vor Kälte taub wurden. Eamon erschien nicht. Nicht, daß sie sich darüber gewundert hätte. Sie hatte gewußt, daß er nicht auftauchen würde, trotzdem wagte sie den Versuch. Sie konnte gar nicht anders.
Lieber Eamon,
in gewisser Hinsicht habe ich ein Kind von Dir. Der Mann, der es zeugte, hat mich an Dich erinnert. Es ist ein Junge, und ich gab ihm Deinen Namen. Ich weiß, daß Du jetzt verheiratet bist, aber ich glaube dennoch, daß wir beide zusammen ein Kind haben könnten. Ich weiß auch schon, wo wir es zeugen sollten. Auf einem Berggipfel in Irland, von wo aus der Blick über einen Wald geht. Sommer muß es sein, und wir werden im See schwimmen, wie Du es in deinem Song beschreibst.
Wie Du siehst, glaube ich an Dich, Eamon. Mit Deinen Texten willst Du den Menschen wirklich etwas sagen. Deine Lieder rühren mich an, Du faßt in Worte, was ich empfinde, aber nicht auszudrücken vermag. Deine Songs sind wie die Schatten meiner Gedanken, die vor mir herschweben, unerreichbar.
Ich wünschte, ich
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