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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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auseinanderhalten. Aber er nahm sich vor, innerhalb der Station niemandem zu trauen, der keine Uniform trug. Schrotflinten waren Waffen, die für gewöhnlich nur Zivilisten benutzten. Anscheinend war das Ganze ein von Zivilisten angezettelter Aufstand.
    Der Granatwerfer schoß wieder. Unmittelbar danach war ein zweiter Knall zu hören. Offenbar standen zwei nebeneinander und schossen fast gleichzeitig. Moresby verfiel in einen Dauerlauf, um nicht außer Atem zu geraten. Er dachte sorgenvoll an das chinesische Eingreifen und an die Rakete mit Atomsprengkopf, die für Chicago bestimmt gewesen war. Wer hatte die Chinesen zu Hilfe gerufen? Wer hatte sich mit ihnen verbündet?
    Nach erstaunlich kurzer Zeit kam er an einigen Baracken vorbei und erkannte in einer von ihnen das Gebäude, in dem er einige Wochen lang gelebt hätte – vor über zwanzig Jahren. Es schien jetzt abbruchreif zu sein. Moresby lief auf dem Gehsteig weiter. Der Wind wehte in seine Richtung, überholte ihn und trieb ihn vorwärts. Der Feuerschein am Horizont war noch stärker geworden.
    Die Granatwerfer schossen wieder. Moresby fluchte und lief schneller. Er überquerte den Parkplatz hinter einem anderen Gebäude, sah dort einen Wagen stehen und merkte erst jetzt, wie kurzsichtig seine Planung gewesen war. Bis zur Nordwestecke der Station waren es noch etwa zwei Kilometer, für die er fast eine Viertelstunde brauchen würde, weil er nicht den direktesten Weg benutzen konnte.
    Moresby blieb enttäuscht stehen, als er das Instrumentenbrett des Wagens sah.
    Das olivgrüne Fahrzeug war eckiger und kompakter als die großen Limousinen, die er kannte; trotzdem war der Innenraum nicht kleiner, da es einen Unterflurmotor hatte. Moresby sah keinen Zündschlüssel, sondern nur einen Ein-Aus-Schalter. Für den Wahlhebel des automatischen Getriebes gab es drei Stellungen: P(arken), R(ückwärts), V(orwärts). Zwei Schalter für Scheinwerfer und Scheibenwischer und eine Kontrolleuchte vervollständigten das Instrumentenbrett.
    Moresby setzte sich ans Steuer und betätigte den Einschalter. Die Kontrolleuchte flammte kurz auf und erlosch dann wieder. Sonst geschah nichts. Er rüttelte an dem Wahlhebel, der auf P stand, und betätigte nochmals den Schalter. Aber auch diesmal blinkte die Kontrolleuchte nur einmal auf. Moresby fluchte über den störrischen Wagen, riß an dem Hebel, stellte ihn auf V – und wurde in den Sitz gedrückt, als das Fahrzeug vorwärtsschoß. Er klammerte sich verzweifelt am Lenkrad fest und trat mit aller Kraft auf die Bremse. Aber der Wagen prallte erst noch vom Randstein ab, bevor er mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Auch beim Beschleunigen war kein Motorengeräusch zu hören gewesen.
    Moresby starrte das Instrumentenbrett an, als ihm klarwurde, daß er in einem Elektroauto saß. Dann nahm er langsam den Fuß von der Bremse und ließ das Fahrzeug anrollen. Diesmal bewegte es sich nur im Schrittempo. Moresby trat auf das Beschleunigungspedal. Der Wagen wurde geräuschlos schneller.
    Moresby trat das Gaspedal durch und raste auf der Straße nach Nordwesten. Das Gewehrfeuer am Tor hinter ihm schien schwächer geworden zu sein.
     
    Der Lastwagen brannte noch immer. Dicker, öliger Rauch quoll aus dem Wrack und wurde vom Wind davongetrieben.
    Major Moresby ließ das Elektroauto fünfzig Meter von dem hohen Maschendrahtzaun entfernt stehen und ging dahinter in Deckung. Granatwerferfeuer hatte ein zweites Loch in den Zaun gerissen, und Moresby sah die Leichen von zwei Angreifern in dieser Bresche liegen. Sie trugen Zivilkleidung – schmutzige Hemden und Jeans – und ein gelbes Band um den linken Oberarm. Moresby kroch auf den Zaun zu, um sich über die Lage zu informieren.
    Der Granatwerfer war so nahe, daß er den Abschußknall vor der Detonation hörte. Moresby blieb zusammengekrümmt liegen und wartete. Die Granate schlug irgendwo hinter ihm ein, wo das Gelände leicht anstieg, und wirbelte Erdbrocken und Steine auf. Moresby zog den Kopf ein, als es Steine regnete, und wartete darauf, daß der zweite Granatwerfer schießen würde.
    Aber die zweite Granate kam nicht.
    Moresby hob langsam den Kopf und beobachtete den Abhang unterhalb des Zauns. Dort gab es nur wenig Deckung, und der Gegner hatte einen hohen Preis für seinen Angriff an dieser ungünstigen Stelle gezahlt: Sieben Gefallene lagen auf dem Geländestreifen zwischen dem Zaun und einigen Baumstümpfen in zweihundert Meter Entfernung. Alle Toten waren gleich gekleidet:

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