Das Jahr der stillen Sonne
galten. Das Ziel verschwand. Moresby betrachtete den Stahlhelm außerhalb des Granattrichters. Er wußte, daß es besser war, die Stellung bald zu wechseln – er mußte sie wechseln, bevor der Granatwerfer sich auf ihn einschießen konnte.
Er schoß nochmals auf die Baumstümpfe, damit der Werferschütze den Kopf unten behielt. Dann spurtete er zu der Bresche im Zaun, wo die beiden toten Angreifer lagen. Dort warf er sich zu Boden, schoß wieder und kroch zu dem ersten Gefallenen, dessen Körper ihm als Deckung dienen konnte. Der Wind pfiff durch die Maschen des Drahtzauns.
Moresby streckte die Hand aus, riß das gelbe Armband des Banditen ab und untersuchte es.
Er hielt einen ungesäumten Stoffstreifen in der Hand, auf den mit Tusche ein großes schwarzes Kreuz gemalt worden war. Das war das einzige Erkennungszeichen: ein schwarzes Kreuz auf gelbem Grund. Moresby überlegte angestrengt, welche Organisation dieses Zeichen benutzte. Und er machte sich Gedanken über den eigenartigen Namen der Angreifer. Warum hießen sie Jets?
Zwecklos. Weder das Zeichen noch der Name waren vor Moresbys Start, vor 1978, bekannt gewesen.
Der Major drehte den Toten auf den Rücken, um sein Gesicht sehen zu können, und schrak zusammen. Auf dem schwarzen, blutverschmierten Gesicht zeichnete sich noch der Todeskampf ab. Dieser Mann war nicht lautlos und augenblicklich gestorben. Er und sein Kamerad hatten versucht, den Zaun zu stürmen, waren von Kugeln durchsiebt worden und hatten hier hilflos gelegen, bis sie verblutet waren.
Major Moresby war den Anblick gefallener Soldaten gewöhnt und erschrak nicht über die Tatsache, daß dieser Mann so elend gestorben war. Aber als er zu dem anderen Toten hinübersah, durchzuckte ihn ein eisiger Schreck. Er wußte plötzlich, was das schwarze Kreuz auf gelbem Grund bedeutete, obwohl er es nie zuvor gesehen hatte. Dieses Abzeichen trugen Aufständische, trugen Rebellen, die mit chinesischer Unterstützung kämpften.
Die Jets waren schwarze Guerillas.
Der Granatwerfer feuerte wieder. Major Moresby duckte sich hinter der Leiche. Er wartete ungeduldig darauf, daß die Granate irgendwo hinter ihm einschlagen würde. Dann wollte er diesen Banditen erledigen!
Es war 6.20 am Morgen des 4. Juli 1999. Die Sonne stand als leuchtende Kugel über dem Dunst am Horizont.
Ein schwarzer Werferschütze mit zerschossenem Knöchel sah vorsichtig hinter einem Baumstumpf hervor und stellte fest, daß er Sieger geblieben war.
13
Korvettenkapitän Arthur Saltus
23. November 2000
Das Gestern schon den Samen in sich trägt
Für Sieg und Niederlage eines fernen Morgen.
Trink! Nur der Narr, der seine Spur nicht wägt,
Macht um den Ungewissen Weg sich Not und Sorgen …
Omar Khayyam
Saltus war bereit, seinen Geburtstag zu feiern.
Das rote Licht erlosch. Er löste die Verriegelung und öffnete die Luke. Nun erlosch auch das grüne Licht. Saltus stemmte sich hoch. Der Kellerraum war wie erwartet menschenleer, aber er sah zu seiner Überraschung, daß einige Leuchtstoffröhren der Deckenbeleuchtung durchgebrannt waren. Die Luft war kühl und roch nach Ozon. Er kletterte aus dem ZVF, schloß die Luke und sprang zu Boden, weil die Leiter fehlte. Dann ging er zu dem Metallspind, in dem sein Anzug hängen sollte.
Im Schrank hingen zwei Anzüge in Plastiksäcken mit dem Firmenaufdruck einer Reinigung. Saltus griff nach seinem – der andere blieb für Chaney hängen – und stellte dabei fest, daß sich selbst im Inneren des Metallspinds eine dicke Staubschicht angesammelt hatte. Hier fehlte offenbar eine gute Haushälterin. Saltus zog seine Zivilkleidung an und überzeugte sich heimlich davon, daß die Flasche, die er vor dem Start in seine Hüfttasche gesteckt hatte, noch immer guten Bourbon enthielt.
Er hatte das Gefühl, ausreichend auf die Zukunft vorbereitet zu sein.
Arthur Saltus warf einen Blick auf seine Uhr: 11.02. Er sah zu der Wanduhr mit Datumsanzeige hinüber: 10.55 am 23. November 2000. Die Außentemperatur betrug -9°C. Saltus vermutete, daß seine Uhr vorging; das tat sie in letzter Zeit oft. Er verließ den Raum, ohne zu den Fernsehkameras hinüberzusehen, weil er ein schlechtes Gewissen wegen der Whiskyflasche hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Ingenieure sein Verhalten billigten.
Saltus ging den unheimlich stillen Korridor entlang zum Schutzraum. Die Staubschicht auf dem Fußboden dämpfte das Geräusch seiner Schritte, und er fragte sich, ob William bei seinem
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